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Zu schade für die Abrissbirne

Landratsamt Der Kreistag hat den Abbruch des Gebäudes und den Neubau im Esslinger Merkelpark beschlossen. Doch die Gegenstimmen werden lauter. Von Alexander Maier

Ende März hatte der Kreistag grünes Licht für den Abriss des Gebäudes gegeben. Foto: Jean-Luc Jacques
Ende März hatte der Kreistag grünes Licht für den Abriss des Gebäudes gegeben. Foto: Jean-Luc Jacques

Ende März hatte der Kreistag nahezu einmütig grünes Licht für den Abriss des alten und den Bau eines neuen Esslinger Landratsamts gegeben. Während sich Kreisverwaltung und -politik weitgehend einig sind, dass ein Neubau sinnvoller sei als die Generalsanierung des bestehenden Gebäudes, bleiben die Kritiker, die das Projekt per Online-Petition verhindern wollten, bei ihrer ablehnenden Haltung. Bestätigt fühlen sie sich durch jüngste Debatten über die Zukunft des Bauens und die Notwendigkeit einer nachhaltigeren Baupolitik in Zeiten des Klimawandels.

Während die Kreisverwaltung stets betont hatte, dass das Bestandsgebäude aus dem Jahr 1978 weder vom Raumprogramm noch vom Gebäudezustand und auch nicht von den technischen und energetischen Voraussetzungen her den Anforderungen an eine moderne Verwaltung genüge und dass eine Generalsanierung die Vorteile eines Neubaus nicht aufwiegen würde, sehen die Neubau-Kritiker das ganz anders. „Das bestehende Gebäude ist völlig gesund und gut erhalten“, sagt Wolfgang Klein, einer der Initiatoren der Online-Petition. Der Esslinger Künstler, der den Sitzungssaal künstlerisch gestaltet hatte, sieht gute Gründe für den Erhalt: „Die Architektur ist - für die 70er-Jahre - besonders ausdrucksvoll. Die Baukörper sind außergewöhnlich gegliedert, sie sind individuell gestaltet und machen das große Gebäude leicht. Und der Sitzungssaal ist ein Juwel. Die Nutzung der Räume kann wie in jedem anderen Gebäude erfolgen. Die technischen Erneuerungen sind genauso einfach machbar wie im Neubau, auf dem Dach kann eine Photovoltaik-Anlage installiert werden. Aus architektonischer Sicht gibt es keine Begründung, die einen Abriss rechtfertigen würde.“

Quer durch die Republik gibt es derzeit Diskussionen wie diese. Und immer wieder geht es um die Nutzungsdauer von Gebäuden und um die Frage, ob nicht die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen müsse. Kritische Architekten monieren, dass die durchschnittliche Nutzungsdauer von Bürogebäuden bundesweit gerade mal bei etwa 50 Jahren liege. Sie werben dafür, bei Entscheidungen pro und kontra Sanierung nicht nur die Einsparungen durch einen energetisch perfekten Neubau einzubeziehen, sondern auch die Emissionen, die beim Abriss des Bestandsgebäudes, beim Recycling des Bauschutts und beim Neubau entstehen.

„Wenn man all das in der Energiebilanz berücksichtigt, fällt das Urteil meist anders aus“, betont Klaus Plodek, der die Online-Petition mit auf den Weg gebracht hatte. „Beim Abriss wird ‚Graue Energie’ verschwendet. Diese negative Energiebilanz und der enorme Ressourcenverbrauch hinterlassen einen ökologischen Fußabdruck, der nur als ökologischer Frevel bezeichnet werden kann.“ Deshalb bleiben Plodek und seine Mitstreiter auch nach dem Bau- und Vergabebeschluss des Kreistags bei ihrer grundsätzlichen Kritik: „Im Zeitalter des Home-Office erscheint es geradezu grotesk, die Anzahl der bestehenden Arbeitsplätze zu erweitern.“

Die Kritiker des Landratsamt-Neubaus hätten ihr Anliegen gerne auch in der Öffentlichkeit stärker vertreten, doch die Corona-Einschränkungen ließen Veranstaltungen und unmittelbare Unterschriftensammlungen nicht zu. So blieb nur eine Online-Petition, die 321 Unterzeichner gefunden hat. Was die Initiatoren ebenso wie diese Zahl freut: „Zahlreiche Kommentare haben uns gezeigt, dass unsere Argumentation geteilt und teils sogar mit eigenen Argumenten untermauert wird.“

Klaus Plodek und seine Mitstreiter haben aufmerksam verfolgt, dass ihre Gedanken in der öffentlichen Debatte bundesweit an Bedeutung gewinnen. „Der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten hat beim BDA-Tag den Gedanken in den Mittelpunkt gestellt, für das Vorhandene aktiv Sorge zu tragen und das Bestehende mit Ideen für ein zukunftsfähiges Zusammenleben weiterzubauen“, sagt Ulrich Prinz, ein weiterer Initiator der Online-Petition. „Darüber sollte man aber nicht nur reden - man muss solche Erkenntnisse vor Ort umsetzen. Deshalb passt die Entscheidung des Kreistags für einen Landratsamt-Neubau nicht in die Zeit.“ Da sei es ein umso wichtigeres Zeichen, dass der BDA seinen Verbandstag unter das Motto „Kreatives Unterlassen. Bauen nach dem Wachstum“ gestellt hat. „Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, und das muss sie auch - nicht nur anderswo, sondern auch in Esslingen“, findet Ulrich Prinz. Und er sieht sich im Einklang mit dem BDA, der angesichts begrenzter Ressourcen betont hat: „Dem Erhalt des Bestehenden kommt Priorität zu.“