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Zurück zur Natur

Ernährung Das Land will die Bio-Anbaufläche in die Höhe treiben: auf mindestens 30 Prozent bis 2030. Die Hoffnung, dass das gelingt, ruht auf den Schultern von Landwirten wie dem Notzinger Markus Hägele. Von Antje Dörr

Die Eier verkaufen die Hägeles mit ihrem Eier-Automaten.
Die Eier verkaufen die Hägeles mit ihrem Eier-Automaten.

Nah der Straße zwischen Freitagshof und Notzingen steht auf einer Wiese zwischen Weizenfeldern und Industriegebiet ein großer grüner Wagen. Ringsherum geschützt von einem Elektrozaun, picken Hühner eifrig nach Würmern. Fünf Hähne halten den Laden zusammen und krähen im Minutentakt. Im „Chicken Trailer“, wie der Wagen heißt, sitzen noch mehr Hühner auf Stangen, daneben sind die Legenester. Hier werden sie produziert: Hägeles Bio-Eier.

Markus Hägele, 49 Jahre alt, in Notzingen bekannt wie ein bunter Hund und Nebenerwerbslandwirt seit 16 Jahren, hat sich mit dem mobilen Hühnerstall einen Traum erfüllt. „Meine Frau hat schon immer gewusst, dass ich einen Hau habe“, sagt er und tippt sich lachend an die Stirn. Ohne die bessere Hälfte ginge natürlich gar nichts. Während Hägele tagsüber bei Buchele in Ebersbach arbeitet, sammelt seine Frau die rund 210 Eier ein, füttert die 235 Tiere und verpackt die Eier. Die Eier vertreiben die Hägeles über den Automaten, der vor ihrem Haus in der Kelterstraße aufgebaut ist.  

Hägele befindet sich mitten in der Umstellung zum Bio-Landwirt. Das macht ihn zu einem jener Hoffnungsträger, von denen das Land Baden-Württemberg gerne noch mehr hätte. 2030 soll die Bio-Anbaufläche bei mindestens 30 Prozent liegen. So steht es im Biodiversitätsgesetz, das seit 2020 in Kraft ist. Momentan wird erst auf 13,7 Prozent der Fläche Bio-Anbau betrieben. Vor Ort sollen Bio-Musterregionen, zu denen auch der Landkreis Esslingen gehört, dafür sorgen, dass dieses Ziel vorangetrieben wird (siehe Info). 

Doch der Ausbau geht nicht von heute auf morgen. 2019 hat Markus Hägele mit der Zertifizierung begonnen, drei Jahre dauert der Prozess. Die Hühner, die er seit Anfang des Jahres hält, kennen es nicht anders. Sie kommen schon ihr ganzes Leben lang in den Genuss der hohen Standards, die der Bioland-Verband vorschreibt: Vier Quadratmeter Fläche für jedes Tier, damit die verschiedenen Stämme sich aus dem Weg gehen können und die rangniederen Tiere die Chance haben, den Hänseleien der anderen zu entgehen. Alle vier Wochen zieht der Traktor den Wagen an einen anderen Standort, damit der Hühnerdreck nicht überhand nimmt. Zu fressen gibt es ausschließlich Bio-Futter. Und natürlich Würmer. Kein Muss sind die kleinen Sandkisten, gefüllt mit Biolit, die Hägele unter dem Chicken Trailer aufgestellt hat. „Das ist Wellness fürs Huhn“, sagt Hägele. In den Kisten nehmen die Tiere ein Staubbad, um ihr Gefieder vor Ungeziefer zu schützen.

Neben den Hühnern betreibt Markus Hägele Ackerbau. Auf zirka 13 Hektar baut er Getreide an, größtenteils Weizen und Wintergerste, dazu etwas Soja, Rispenhirse und Lupine. Obwohl Bio-Saatgut in den Boden kommt, darf erst, das, was er im Juli 2022 erntet, als Bio-Getreide in den Handel. „Der Boden muss sich von den Sünden der Vergangenheit reinigen“, sagt Hägele und bezieht sich damit auf die Pestizide und Fungizide, die auch er in seiner Zeit als konventioneller Landwirt gespritzt hat. Er wolle nicht alles schlecht reden, sagt er. „Wir kommen in Notzingen bauernmäßig gut zusammen, egal ob Bio oder nicht“. Und dass seine Vorfahren nach dem Krieg zu den Verlockungen der Chemie-Industrie ja gesagt haben, um den Ertrag zu steigern und nicht mehr Hunger zu leiden, kann er verstehen. Er will es dennoch anders machen, auch wenn die Umstellung hart sei. „Vorher habe ich 50 Tonnen geernet, und jetzt noch 25 Tonnen“, sagt er. Als Nebenerwerbslandwirt lasse sich das verschmerzen. „Aber wenn ich im Vollerwerb bin, sind das sicher harte Jahre“.

Bei der Bodenbearbeitung setzt Markus Hägele schon seit 2003 auf die Pfluglos-Methode. Er glaubt, dass es falsch ist, das Bodenleben im Acker mit dem Pflug komplett durcheinanderzubringen. Stattdessen verwendet er Geräte wie Scheiben-Egge und Grubber. „Bei dem Starkregen habe ich kaum Erosion gehabt“, benennt Hägele einen positiven Nebeneffekt. Überhaupt spielt der Boden in der Bio-Landwirtschaft eine große Rolle. „Früher hat man ihm mit dem Düngerstreuer Energie zurückgegeben“, sagt er. Jetzt untersucht er seinen Boden, um herauszufinden, was ihm fehlt. Auf einem Teil der Äcker wächst Kleegras, das den Boden mit Stickstoff anreichert. Was hat sich noch geändert, seit er Bio-Landwirtschaft betreibt? „Man ist nicht mehr so stressig drauf“, sagt Hägele. Wenn man Geld reinstecke in Dünger oder Spritzmittel, sei der Druck größer, dass auch der Ertrag entsprechend sei. „Jetzt bringe ich im Frühjahr etwas Kompost auf.“ Er hofft, dass andere Landwirte ihm folgen. „Wenn alle auf Bio umstellen würden, dann könnten auch die Kleinen wie ich davon leben.“

Ein Mann, 230 Hühner und fünf Hähne: Der Notzinger Markus Hägele hält seit Anfang des Jahres Hühner in seinem mobilen Stall. Fot
Ein Mann, 230 Hühner und fünf Hähne: Der Notzinger Markus Hägele hält seit Anfang des Jahres Hühner in seinem mobilen Stall. Fotos: Markus Brändli