Sanierungsarbeiten am Reußenstein gestartet – Letzte Renovierung 1965/66
Per Seilbahn an die Südwand

Vor 46 Jahren ist der Reußenstein auf Initiative des damaligen Nürtinger Landrats Dr. Ernst Schaude und unter tatkräftiger Mithilfe der Gemeinde Neidlingen wieder aufgebaut worden. Inzwischen hat der Zahn der Zeit so arg an dem Gemäuer genagt, dass der Landkreis Esslingen seine historische Immobilie für knapp eine halbe Million Euro sichern lässt.

Ruine Reu§enstein GerŸstbaufirma baut auf, Seilzug vom Plateau zur SŸdwand der Ruine
Ruine Reu§enstein GerŸstbaufirma baut auf, Seilzug vom Plateau zur SŸdwand der Ruine
Neidlingen. Einst hob der sagenumwobene Riese Heim den tapferen Schlossergesellen aus dem Burgfenster, um in schwindelnder Höhe den letzten Nagel einzuschlagen. Heute verrichten am Reußenstein keine Riesen mehr die Hebearbeit. Jetzt sind die Spezialisten der Gerüstbaufirma Schwarz aus Freiberg am Werk. Per Seilzug transportieren sie seit gestern die Materialteile in die Burgruine, um die Südwand einzurüsten. Diesem Mauerzug setzten Sturm und Wind, Sonne, Regen, Eis und Schnee über die Jahrzehnte doch sehr zu. Die Palaiswand weist starke Risse auf. Auf der Mauerkrone wachsen Mauerpfeffer, Gräser und Eschenschösslinge. Bruchstücke drohen ins Tal zu stürzen. Außerdem befürchten die Experten Frostsprengungen im Winter, wenn Regen ins Mauerwerk eindringt und den Mörtel auswäscht. Deshalb sah es der Landkreis als unumgänglich an, den Teil seiner historischen Immobilie über dem Tal der Lindach zu sanieren, den er im Zuge der Verwaltungsreform als seinen Besitz vom Altkreis Nürtingen übernahm. Denn der größere Teil im Osten gehört zur Gemarkung Wiesensteig und befindet sich damit im Landkreis Göppingen.

Ruine Reu§enstein GerŸstbaufirma baut auf, Seilzug vom Plateau zur SŸdwand der Ruine
Ruine Reu§enstein GerŸstbaufirma baut auf, Seilzug vom Plateau zur SŸdwand der Ruine
Doch das bei Wanderern und Kletterern beliebte Ausflugsziel am Ende des Lindachtals ist untrennbar mit der „Reußensteingemeinde“ Neid­lingen verbunden. Das ist nicht nur im Bewusstsein der Bürger der Kirschengemeinde fest verankert. Auch für den Landrat des damaligen Landkreises Nürtingen, Dr. Ernst Schaude, stand fest, „dass der Reußenstein eindeutig zur Landschaft des Neidlinger Tals gehört“. Deshalb hatte er 1965 auch keine Hemmungen, den im Kreis Göppingen liegenden Teil von den beiden Vorbesitzern, der Württembergischen Hofkammer und der Staatsforstverwaltung, für den Landkreis Nürtingen zu kaufen.

Nicht ganz unschuldig an dem Deal war Neidlingens junger Bürgermeister Ulrich Rieker, damals drei Jahre im Amt. Weil das Burgwiesle für die Vereine der Reußensteingemeinde ein idealer Veranstaltungsplatz war, hatte Ulrich Rieker bei Landrat Schaude immer wieder angeklopft. Mit dem Kauf war die Sache jedoch nicht erledigt. Nicht nur klimatische Unbilden hatten sichtbare Zeichen der Zersetzung an dem einst stolzen Grafenschloss hinterlassen. „Als Württemberg 1806 in den Besitz des Reußensteins kam, war er bereits eine Ruine, aus der alles, was nicht niet- und nagelfest war, den Weg in die benachbarten Höfe und Dörfer gefunden hatte“, schrieb der Neidlinger Heimatforscher Paul Stierle 1956.

Daran hatte sich bis 1965 nicht viel geändert, sodass es im selben Jahr im Teckboten hieß: „Will man die Ruine Reußenstein vor dem Ruin retten, muss einiges getan werden.“ Das bestätigte Neidlingens Bürgermeister a. D. Ulrich Rieker: „Es war viel zugeschüttet und wir haben erkannt, das gibt eine größere Sache.“ Tonnenweise mussten Schutt beseitigt und Mauern frei gelegt werden. Auch schweißtreibende Grabarbeiten waren notwendig. Das bedeutete für die Neidlinger „Ärmel hochkrempeln und kräftig mit anpacken“.

Ruine Reu§enstein GerŸstbaufirma baut auf, Seilzug vom Plateau zur SŸdwand der Ruine
Ruine Reu§enstein GerŸstbaufirma baut auf, Seilzug vom Plateau zur SŸdwand der Ruine
„Die Gemeinde hat dies als ihre Aufgabe erkannt und der Gemeinderat war einhellig dafür“, erinnert sich Rieker, der gemeinsam mit den Bürgervertretern erfolgreich die Werbetrommel für die Renovierung des Reußensteins rührte. Vom Herbst 1965 bis zum Sommer 1966 leisteten Freiwillige knapp 3 000 Arbeitsstunden. Mit Pickeln, Schaufeln, Hacken und Schubkarren bewaffnet, ratterten die Helfer auf Schleppern Samstag für Samstag die Steige hinauf, darunter der Verwaltungschef und sein Ratsgremium, die Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins, die Neidlinger Feuerwehr, die Floriansjünger von Ochsenwang und Holzmaden, Neid­linger Gewerbetreibende, der Schützenverein, Arbeiter der Firma Kurt Stoll, Genossen der örtlichen Molkereigenossenschaft, Mitglieder des Obst- und Gartenbauvereins, des Turnvereins und der DRK-Ortsgruppe Weilheim sowie Mitarbeiter und Verwaltungskandidaten des Landratsamtes Nürtingen. Zu Letzteren gehörte Weilheims Bürgermeister a. D. Hermann Bauer, damals als Verwaltungskandidat Auszubildender unter Landrat Dr. Schaude. „Wir wurden während der Woche einen Tag zum Reußenstein abbeordert und haben geholfen, den Schutt wegzuräumen.“ Für die Verwaltungskandidaten, darunter auch Owens ehemaliger Schultes Siegfried Roser, war dies eine willkommene Abwechslung. „Belohnt wurden die freiwilligen Helfer mit einem Vesper vom Landkreis aus der Küche des Kirchheimer Krankenhauses.“

Karl Kutteruf, Neidlinger Urgestein und Chronist des Teckboten, schrieb 1966: „Und wäre diese Bereitwilligkeit nicht vorhanden gewesen, wir hätten es wirklich nicht geschafft.“ Vor allem wäre es nicht gelungen, hätte nicht die Panzer-Pionier-Kompanie 360 der Bundeswehr aus Bad Mergentheim den für die Bauarbeiten entscheidenden Brückenschlag über den Burggraben getätigt. Doch mit vereinten Kräften gelang die Rettung des Reußensteins. Sie wurde vom 16. bis 18. Juli 1966 mit einem rauschenden Reußenstein- und Kirschenfest im Tal und auf der Höh‘ in Gegenwart der Ehrengäste Landrat Dr. Ernst Schaude, Regierungspräsident Dr. Wilhelm Schöneck und Kreisbaumeister Christian Rapp, der die Renovierungsarbeiten geleitet hatte, gefeiert.

Die per Seilbahn in die Burgruine geschafften Gerüstteile werden von den Spezialisten der Freiberger Firma Schwarz an der Südwan
Die per Seilbahn in die Burgruine geschafften Gerüstteile werden von den Spezialisten der Freiberger Firma Schwarz an der Südwand angebracht.Fotos: Jean-Luc Jacques
174 521 Mark kostete der Ausbau der Ruine. Die Eigenmittel des Kreises waren rar. Der damalige Kreisamtmann und spätere Kreiskämmerer Heinz Fälchle bezifferte sie auf 30 287 Mark. Die Kreissparkasse Nürtingen spendete 65 000 Mark und die Bausparkasse Württemberg 10 000 Mark. Die restlichen 69 234 Mark musste das Land übernehmen.

Ein Klacks gegenüber den heutigen Sanierungskosten, für die der Landkreis Esslingen 450 000 Euro veranschlagte. Dabei greifen Bund und Land dem Besitzer der brüchigen Immobilie mit rund 246 000 Euro unter die Arme und die Denkmalstiftung Baden-Württemberg hilft mit 50 000 Euro aus. Somit hat der Landkreis noch 154 000 Euro zu berappen.

Freilich hätte im Juni 1966 unter der Auflistung der Baukosten auch eine andere Zahl stehen können, hätten sich nicht so viele freiwillige Helfer mit dem Wahrzeichen ihrer Heimat identifiziert und zugepackt.