„Poems on the Rocks“ in der Kirchheimer Stadthalle
„Poems on the Rocks“ in der Kirchheimer Stadthalle

Kirchheim. Es gibt Songs, die allein von der „Ohrwurmqualität“ leben. Es gibt Lieder, deren Texte einem sofort unter die Haut gehen – auch wenn die dazu komponierte Musik vielleicht hinter den Erwartungen zurückbleibt. Es gibt aber auch Titel, bei denen beides zusammenpasst und genau die sind das leidenschaftlich gesammelte und stimmig in die deutsche Sprache übertragene Material, mit dem das Projekt „Poems on the Rocks“ beim Auftritt in der Kirchheimer Stadthalle mit musikalischer Professionalität und sprachlicher Perfektion überzeugte.

„Poems on the Rocks“ ist dabei mehr als eine bunte Revue gut ge­coverter Kleinode der Rockmusik. Die Melodien sind so bekannt, dass die Stücke schon nach wenigen Takten erkannt werden. Was oft hinter den Kompositionen verborgen bleibt sind die Inhalte, deren poetische Kraft oft erst dafür sorgt, einen Hit zum zeitlosen Klassiker zu machen. In Zeiten von Finanzkrisen wirken Oldies wie „Money“ von Pink Floyd aus dem Jahr 1973 oder das von Simply Red 1985 auf den Markt gebrachte „Money’s too tight to mention“ tatsächlich wie aktuell komponierte Titel.

Leonard Bernstein hatte im April 1967 in der amerikanischen Fernsehserie „Inside Pop – The Rock Revolution“ das Publikum beschworen: „Hören Sie auf die Verse dieser neuen Songs. Sie sind das Denken von Millionen junger Leute. Sie drücken ihre Empfindungen über viele Themen aus: Bürgerrechte, Frieden, Entfremdung, Mystizismus, Rauschgift und vor allem Liebe“. Genau dieser Gedanke verbindet schon seit Jahren die unter dem Projektnamen „Poems on the Rocks“ versammelten sechs Vollblutmusiker, die auf Einladung des Kulturkreises Ötlingen in der Stadthalle gastierten.

„Ich bin ein netter älterer Herr, ab und zu etwas verdreht, doch schon seit einer Ewigkeit auf der Welt“ rezitierte Frontmann Jo Jung zu Beginn einen von ihm nicht Wort für Wort übersetzten, sondern mit viel Respekt vor dem Original stimmig und zeitgemäß ins Deutsche übertragenen Songtext. Nur eingefleischten Musikexperten war schon bei diesen Zeilen bewusst, dass damit der Stones-Titel „Sympathy for the Devil“ aus dem Jahr 1968 ausgewählt worden war und der zitierte „nette ältere Herr“ niemand anderes ist als Teufel „Luzifer“ höchstpersönlich.

Während der studierte Romanist und ausgebildete Theater-Schauspieler Jo Jung souverän für die Moderation des Abends und die mit viel Rhythmusgefühl und Tiefgang vermittelten Einsichten in die Seele der Texte verantwortlich zeichnete, kümmerte sich Jörg Krauss mit eindrucksvollem Stimmvolumen hauptsächlich um die englischen Originaltexte.

Für den dazugehörenden professionellen Instrumental-Sound sorgten vier weitere ausgewiesene Könner ihres Fachs, die durch ihr in Jahren gemeinsamer Arbeit gewachsenes perfektes Zusammenspiel genauso beeindruckten wie durch ihre immer wieder breiten Raum einnehmenden Soli. An der Gitarre brillierte Christoph Berner, Edgar Müller wirbelte meisterhaft über die Keyboards, während Andy Kemmers virtuose Basslines durch die Halle wummerten und ein unermüdlicher Helmut Kipp hinter seiner Schießbude voller Drive den Takt vorgab.

Von „Like a Rolling Stone“ von Bob Dylan über Paul Simons „Fifty ways to leave your lover“ und John Lennons „Come Together“ führten die sechs Musiker das Publikum hin zu 
“I don’t like Mondays”, dem von Bob Geldof 1979 geschriebenen größten Hit der „Boomtown Rats“. Wer bislang nicht genau auf den Text geachtet hatte und glaubte, das Lied habe nur damit zu tun, dass nach einem kurzweiligen Wochenende nun wieder eine lange Arbeitswoche beginnt, hatte Gelegenheit, sich genauer mit dem tragischen Hintergrund dieses fast vergnügt-mainstreammäßig daher kommenden Songs vertraut machen zu lassen.

Tatsächlich ist „I don’t like Mondays“ ein Zitat der 16-jährigen Brenda Ann Spencer, die 1979 in San Diego, Kalifornien, in ihrer Schule zwei Erwachsene erschossen und acht Schüler und einen Polizisten verwundet hatte, der das sinnlose Massaker beenden wollte. Die Frage nach dem Warum hatte sie mit der lapidaren Aussage beantwortet, dass sie eben keine Montage mag: „Montage würd‘ ich gern in Grund und Boden knallen“.

Auch bei „Riders on the Storm“ von den Doors „schleichen die Killer auf Asphalt, ihr Hirn dreht durch und ihr Herz ist kalt“. Bei allem Bemühen um die Konzentration auf die Inhalte der Songs ließen die Musiker hier aber ihrer Musikalität ganz besonders freien Raum zu Improvisationen.

Nach der Pause wurden die ausgewählten Texte dann immer düsterer und bedrohlicher. In „Cats in the ­Cradle” geht es um die Geschichte eines Jungen, dessen Vater nie Zeit für ihn hat. Nach Emerson, Lake and Palmers nicht immer nur glücklichem „Lucky Man“ wurde in Bob Dylans „All along the Watchtower“ Liebe gebetet, aber Hass verbreitet. Bei ­„Carpet Crawler“ von Genesis weht zwar noch etwas der Wind der Freiheit, doch bedecken schon „Teppich-Krabbler den ockerroten Boden des Korridors“. Bei „Lokomotive Breath“ schnauft und pfeift die Lok immer schneller, während die Bremsen nicht mehr greifen und in „Us and them“ von Pink Floyd dreht sich zuletzt alles nur noch sinnlos im Kreis. Poems on the Rocks – heile Welt klingt anders . . .