Kreis Esslingen. Stuttgart 21 bewegt zivile und uniformierte Massen. Die einen aus politischer Überzeugung, die anderen per Anforderung. Wenn die Landespolizeidirektion Stuttgart (LPD) bei der Polizeidirektion (PD) Esslingen anklopft, sind auch weibliche und männliche Beamte aus den Revieren im Landkreis gefragt. „Das kann ad hoc geschehen oder aber vorgeplant bei Montagsdemonstrationen oder Großdemonstrationen“, erklärt Pressesprecher Michael Schaal. Je nach Anforderung der LPD, schaut die Polizeidirektion nach, aus welchen Dienststellen sie die Gruppe mit rund elf Frauen und Männern oder den Zug mit rund 33 Beamten rekrutieren kann. Das kann auch Polizisten treffen, die sich nach einem Schichtdienst auf ihre freien Tage freuten. Dennoch sei der Streifendienst nicht gefährdet, meint Schaal „Wir haben nicht weniger Polizei auf der Straße. Die Mindeststärke plus zwei oder drei Beamte muss immer vorhanden sein.“
Über 20 Prozent der Ordnungshüter im Landkreis Esslingen sind Frauen. „Der Anteil ist relativ hoch“, sagt der Pressesprecher. Dass Polizistinnen auch bei Demonstrationen in vorderster Reihe im Einsatz sind, empfindet Michael Schaal nicht als Nachteil. „Das kann auch den Vorteil mit sich bringen, dass Frauen eher deeskalierend wirken.“
Nicht nur der Pressesprecher der PD Esslingen weiß um die enorme Doppelbelastung seiner Kolleginnen und Kollegen, die aus der Freizeit, dem Schicht-, Bezirks- und Streifendienst heraus nach Stuttgart beordert werden. Auch Peter Mangel, Bezirksvorsitzender Nord-Württemberg von den „Blauen“, der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), spricht von einem Teufelskreis aus Überstunden durch Stuttgart
21 und deren Freizeitausgleich, was wiederum weniger Personal auf den Dienststellen nach sich zieht. „Wir müssen die gleiche Arbeit mit weniger Leuten machen“, klagt der Gewerkschafter. Und: „Wir weisen die Politik schon seit Jahren darauf hin.“
Dauerstress durch Schichtdienst und Sondereinsätze durch Stuttgart 21 ist die eine Seite. Die andere ist die „emotionale Belastung über Stunden und Tage“, wie Peter Mangel sagt. Polizisten müssen ausbaden, was ihnen die Politik eingebrockt hat. „Wir erfüllen nur den gesetzlichen Auftrag“, sagt der DPolG-Bezirksvorsitzende. Dafür mussten sich die Beamten üble Beleidigungen wie „Mörder“ und „Kinderschänder“ gefallen lassen. „Ich hab‘ nie gedacht, dass so eine Aggression möglich ist.“
Vorausgegangen war der Polizeieinsatz gegen Demonstranten im Stuttgarter Schlossgarten, nachdem trotz mehrfacher Aufforderungen Blockaden von Polizei- und Baufahrzeugen nicht aufgegeben wurden und Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf daraufhin den Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray anordnete. Für Peter Mangel eng verbunden mit der Eskalation ist die Frage „Wo fängt ziviler Ungehorsam an und wo hört er auf? Darf er gegen geltendes Recht verstoßen?“ Junge Bereitschaftspolizisten, mit denen Mangel nach dem Einsatz im Schlosspark sprach, hätten ob der erlebten Angriffe und des Hasses entsetzt reagiert und gesagt, sie hätten sich ihren Beruf auch anders vorgestellt. Manche überlegten deshalb, sich in anderen Berufsfeldern umzusehen.