Kreis Esslingen. Fachleute halten jedoch eine reine Psychiatrie ohne somatische Anbindung für einen Rückschritt. Von außerhalb, den Südwürttembergischen Zentren für Psychiatrie (ZfP), kommt jetzt ein Angebot, die Psychiatrie für den Kreis Esslingen zu betreiben – an den Standorten Kirchheim und Ruit.
Es ist kein Geheimnis, dass Martin Roser, bis vor Kurzem Chefarzt der Psychiatrie Nürtingen, gekündigt hat, weil er den Kurs des Landkreises für medizinisch überholt hält. Dass immer wieder Pläne über den Haufen geworfen wurden und die Nürtinger Psychiatrie noch länger in den alten Gebäuden ausharren muss, war ein weiterer Grund. 2011 hatten die Kreiskliniken begonnen, in Kirchheim Platz für eine psychiatrische Abteilung zu schaffen. Doch es kam zum Baustopp – wegen statischer Probleme beim Umbau und weil die Schulden der Kliniken rasant stiegen.
Ein Gutachten von Economedic brachte dann den Vorschlag ins Spiel, auf dem Sockel des alten Nürtinger Krankenhauses eine Psychiatrie zu bauen. Das Plochinger Krankenhaus war in dieser Variante überflüssig. Der Neubau hätte 33 Millionen Euro gekostet, auch höhere Zahlen hörte man. Inzwischen ging der Kreis auf die Stadt Esslingen zu, mit dem Ziel einer Fusion. Gemeinsam bestellten sie ein Gutachten. Ernst & Young schlugen vor, die Psychiatrie nahezu vollständig in Plochingen unterzubringen. Nur einige Betten für Suchtkranke sollen in Kirchheim ihren Platz finden. Einen Neubau für die Psychiatrie könne sich der Kreis nicht mehr leisten, so der Tenor des Gutachtens.
Auf der Strecke bliebe aber der medizinische Standard in der Psychiatrie. Darauf hatte nicht nur Chefarzt Roser hingewiesen. Das hat wohl auch Professor Gerhard Längle gesagt, der Chef der Zwiefaltener Psychiatrie und Medizinischer Direktor der ZfP. Längle saß einige Zeit als externer Berater im Arbeitskreis Psychiatrie, einer der Projektgruppen, die die Fusion vorbereiten. Jetzt sitzt Längle nicht mehr in diesem Gremium. Aber er hat einen Brief an Landrat Heinz Eininger, OB Jürgen Zieger sowie die Geschäftsführer der Kreiskliniken und des Klinikums Esslingen geschrieben. Weil Zwiefalten immer noch stationärer Teilversorger des Kreises Esslingen sei, sei er an einer modernen Versorgung psychisch kranker Menschen interessiert. Beunruhigend findet Längle, dass die Psychiatrie in Plochingen konzentriert werden soll, „fern von den somatischen Kliniken und keineswegs gemeindenah“. Dieses Konzept widerspreche „fundamental allem, was an moderner psychiatrischer Versorgung in anderen Regionen in den letzten Jahren etabliert wurde“.
Das will im Kreis Esslingen niemand mehr hören. Die Fusions-Vorbereiter schauen in erster Linie auf die Investitionen. Und da gibt es keinen Spielraum mehr, weil der Landkreis in den vergangenen Jahren so viel in Nürtingen, Ruit und Kirchheim investiert hat, dass ihn Zins und Tilgung würgen. Die leeren Räume in Plochingen könnte man relativ günstig umbauen, um die Nürtinger Psychiatrie unterzubringen. Von acht Millionen Euro ist die Rede. Der Plochinger Kreisrat Gerhard Remppis (SPD) hofft, dass wenigstens zwei oder drei somatische Ärzte an die Psychiatrie angedockt werden, eventuell ein kleines Gesundheitszentrum. Die Patienten zwischen Plochingen und Kirchheim hin- und herzukarren, sei keine Lösung.
Thomas Kräh, Geschäftsführer der Kreiskliniken, hält dagegen mit einem „regelmäßigen Konsiliardienst durch einen Oberarzt“ die internistische Versorgung für gewährleistet. Das läuft seit dem Umzug der Inneren Abteilung von Plochingen nach Kirchheim so, zum Teil online mit der Übertragung von EKGs.
Die ZfP macht dem Kreis ein eigenes Angebot: So wie am Kreiskrankenhaus Reutlingen oder in Ehingen könne die ZfP Tochterkliniken im Kreis Esslingen platzieren. Angesichts der Größe des Landkreises schlägt Längle vor, „zumindest zwei gleichwertige Standorte“ einzurichten. Einen in Kirchheim oder Nürtingen, den anderen in Ruit, jedenfalls in der Nähe einer somatischen Klinik. Angesichts des Gutachterkonzepts ist der Vorschlag mit Ruit nicht so abwegig. Das Haus soll von 300 auf 150 bis 160 Betten schrumpfen. Für die frei werdenden Gebäudeteile lieferten die Gutachter keine Vorschläge. Klar ist, dass sie saniert werden müssten. Könnte man da nicht noch für eine Psychiatrie umbauen?
Entscheidende Frage sei, was man sich leisten könne, sagt Bernd Sieber, Geschäftsführer des Klinikums Esslingen und Mitglied der Lenkungsgruppe Fusion. Dass die ZfP nun „in eigener Sache Stimmung macht“, finde er nicht gerade glücklich.
Hat der Vorschlag aus Zwiefalten seit einigen Tagen mehr Chancen, weil es eventuell eine andere Nutzung für das Plochinger Haus gibt? Wenn die Aerpah-Klinik in Esslingen-Kennenburg nächstes Frühjahr schließt, bräuchte der Kreis eigentlich eine geriatrische Rehabilitation. „Reizvolle Ideen gibt es viele“, sagt Sieber. Bei der Geriatrie sind allerdings die Sätze der Krankenkassen nicht kostendeckend.
Für Geschäftsführer Kräh ist das ZfP-Angebot „keine Alternative“. Man wolle bis Ende des Jahres ein „vollständiges und realistisches Konzept“ für die Zusammenführung der Kreiskliniken und des Klinikums Esslingen vorlegen. Dies solle gewährleisten, dass das Defizit bis 2016 auf 8,5 Millionen Euro schrumpft.