Erklärung aller Kirchheimer Fraktionen zur „Frage des Monats“ nach zwei Ehrenbürgern
Räte gegen „feige Geschichtsklitterung“

Bei der „Frage des Monats“, die der Teckbote den Kirchheimer Gemeinderatsfraktionen im Mai gestellt hat, geht es um die Ehrenbürgerwürde, die zwei führenden Nationalsozialisten 1933 verliehen worden war. Der Gemeinderat hat sich bei diesem Thema entschieden, eine gemeinsame Erklärung abzugeben.

Kirchheim. Das Thema beschäftigt den Gemeinderat seit 2007. Damals war die Entscheidung gefallen, dass bei Nennungen der Ehrenbürger ein distanzierender Zusatz anzubringen ist. Förmlich aberkannt wurde die Ehrenbürgerwürde aber nicht. In letzter Zeit gibt es immer wieder Stimmen, die fordern, doch noch eine nachträgliche Aberkennung zu beschließen.

Die konkrete „Frage des Monats“ an die Gemeinderatsfraktionen lautete nun: „In welcher Form kann sich die Stadt Kirchheim von ihren nationalsozialistischen Ehrenbürgern Christian Mergenthaler und Wilhelm Murr hinreichend distanzieren? Sollte ihnen die Ehrenbürgerwürde nach 80 Jahren aberkannt werden, oder genügt der Hinweis, dass sie aus damaligen politischen Gepflogenheiten heraus zu Ehrenbürgern ernannt wurden und dass die Verleihung der Ehrenbürgerwürde aus heutiger Sicht nicht mehr erfolgen würde?“

Mit der folgenden Erklärung zum Thema „Ehrenbürgerschaft der Nazi-Verbrecher Murr und Mergenthaler“ beantwortet der Gemeinderat diese Frage:

„Seit einiger Zeit sehen sich die Oberbürgermeisterin und der Gemeinderat massiven Unterstellungen und Angriffen ausgesetzt, wie die Stadt mit der – durch den Tod längst erloschenen – Ehrenbürgerschaft der ehemaligen Nazi-Größen Murr und Mergenthaler umgeht. In einer gemeinsamen Erklärung, die vom gesamten Gremium mit getragen wird, stellt der Gemeinderat dazu fest:

Der Gemeinderat hat sich im Jahr 2007 intensiv mit der Frage der Ehrenbürgerschaft dieser beiden Nazi-Verbrecher auseinandergesetzt und sich nach ausführlicher Diskussion und gründlicher Abwägung bewusst dafür entschieden, sie in der Ehrenbürger-Liste zu belassen – und sie nicht einfach aus der Liste zu streichen und damit die Geschichte der Stadt im Dritten Reich ein Stück weit zu verfälschen.

Die Ehrenbürgerschaft ist ein Persönlichkeitsrecht, das mit dem Tod erlischt. Eine Aberkennung ist nur zu Lebzeiten möglich. Hätte Mergenthaler die Ehrenbürgerschaft nicht bereits durch die Einstufung als Hauptschuldiger in einem Spruchkammerverfahren 1948 verloren und wäre das Ehrenbürgerrecht Murrs nicht bereits am 14. Mai 1945 mit dessen Tod durch Selbstmord erloschen, so hätte sich der Gemeinderat 2007 ganz zweifellos dafür entschieden, den beiden für ihr verbrecherisches Wirken während der Zeit des Nationalsozialismus – posthum – die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. Was aber nicht mehr vorhanden war, konnte auch nicht mehr entzogen werden.

Die Stadträte und Stadträtinnen haben sich deshalb für eine andere, deutlich mutigere Vorgehensweise entschieden – nämlich die beiden in der Ehrenbürgerliste zu belassen, ihre Namen dort nicht einfach zu tilgen, nicht zu versuchen, einmal Geschehenes ungeschehen zu machen, sondern sich durch den Zusatz: „Die Ehrenbürgerwürde wurde während der Zeit des Nationalsozialismus verliehen. Die Verleihung würde aus heutiger Sicht nicht mehr erfolgen“, deutlich von ihnen zu distanzieren.

Damit sollte in der Gegenwart und für die Zukunft im Bewusstsein aller bleiben, dass in den Zeiten des Nationalsozialismus politisch opportune Entscheidungen auch in Kirchheim getroffen wurden, um den damaligen Machthabern gefällig zu sein. Auch in Kirchheim gab es sowohl überzeugte Parteigänger als auch zahllose Mitläufer, auch dies gehört zur Geschichte unserer Stadt. Dies unter den Teppich kehren zu wollen, wäre feige Geschichtsklitterung gewesen. Oder wie Redakteur Andreas Volz in seinem Kommentar vom 14. Dezember 2007 schreibt: „Fehlerhaftes stehen zu lassen, als Mahnmal gegen das Vergessen und als Zeichen für Geschichtsbewusstsein – das zeugt durchaus von Größe.“

Mittlerweile wurde der im Jahr 2007 formulierte Zusatz textlich verändert und noch weiter präzisiert. Er ist auf der Homepage der Stadt nachzulesen.

Auch wenn andere Städte andere Wege wählen, mit ihrer Geschichte umzugehen: Wir halten den von uns 2007 gewählten Weg nach wie vor für richtig und der historischen Situation angemessen!

Wenn schon Kritik, dann daran, dass diese „Ehrenbürger“ bis 2007 offenbar niemandem – weder in der Bürgerschaft noch im Gemeinderat – aufgefallen sind beziehungsweise niemand Anstoß daran nahm, dass sie bis 2007 nach wie vor als solche geführt wurden, ohne jeglichen Hinweis auf ihre Rolle im Dritten Reich und die Tatsache, dass sie sich für die Stadt Kirchheim in keiner Weise verdient gemacht hatten!

In der Auseinandersetzung mit den alten und neuen Nazis geht es unseres Erachtens nicht um völlig folgenlose symbolische Beschlüsse zur Geschichte, sondern vielmehr darum, alle gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren, um zu verhindern, dass sich dieser Ungeist und seine schrecklichen Konsequenzen wieder in Deutschland ausbreiten. – Der derzeitige „NSU-Prozess“ sollte uns allen Warnung und Mahnung genug sein!“tb