Schlägerei beim Holzmadener Saurier-Cup wird vor Gericht aufgearbeitet
Rätsel um heftigen Gewaltausbruch

Ende Juni 2013 hatte eine Massenschlägerei am Rand eines Jugendfußballturniers in Holzmaden bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Gestern hat im Kircheimer Amtsgericht die strafrechtliche Aufarbeitung des Geschehens begonnen. 20 Zeugen sollen dabei helfen, das Geschehen von damals möglichst genau zu rekonstruieren.

Andreas Volz

Kirchheim. Strafrichterin Franziska Hermle-Buchele steht vor keiner leichten Aufgabe: Angeklagt ist ein 48-jähriger Berufskraftfahrer aus Göppingen, der sich selbst eher als Opfer denn als Täter sieht. Schließlich war er nach dem kurzen, aber heftigen Tumult blutend auf dem Platz geblieben – mit gebrochenem Nasenbein und einem ausgeschlagenen Zahn. Wer genau wen geschlagen hat, wann und vor allem warum, das konnten gestern Vormittag weder der Angeklagte noch die ersten neun Zeugen exakt erklären. Der Gewaltausbruch muss wie eine Naturgewalt über den Sportplatz in Holzmaden hereingebrochen sein. Weil allerdings nicht Wind und Wetter beteiligt waren, sondern Menschen, geht es nun vor Gericht darum, herauszufinden, wer sich bei dem Geschehen strafbar gemacht hat.

Ermittelt worden war zunächst in alle Richtungen. Auch die ersten drei Zeugen standen anfangs unter Verdacht. Inzwischen sind die Ermittlungen gegen sie eingestellt. Angeklagt ist einzig der 48-jährige Göppinger – wegen Körperverletzung. Er soll zwei Brüder geschlagen haben, den einen mit der Faust ins Gesicht und den anderen mit einer Glasflasche auf den Rücken. Was sonst noch alles an Hieben und Tritten ausgeteilt worden war, ist gestern zwar durchaus Gegenstand der Verhandlung, nicht aber der Anklage gewesen.

Der Reihe nach: Am 30. Juni 2013 war es nachmittags, kurz nach 15.30 Uhr, zu einer Meinungsverschiedenheit gekommen, während der F-Jugend-Partie zwischen dem 1. FC Eislingen und dem SC Geislingen. Beide Mannschaften spielten beim Saurier-Cup – einem Nachwuchsturnier, das der TSV Holzmaden bereits zum 20. Mal veranstaltet hatte. Der Auslöser für die Gewalttätigkeiten war relativ harmlos: Ein Zuschauer zeigte sich ungehalten über eine Entscheidung des jungen Schiedsrichters: Foul oder nicht Foul, das war wohl die Frage.

In der Folge kam es zu einem Wortgefecht – zwischen dem jetzigen Angeklagten und dem Geislinger Co-Trainer. Schnell geht es nicht mehr um das Foul, sondern darum, dass man sich außerhalb des Spielfelds gegenseitig etwas beweisen werde. Dieses Beweisen sollte eher tatkräftig erfolgen als wortgewaltig. Nach einer kurzen Ruhephase im Streit, während der das Spiel wohl weiterlief, kam es schließlich doch zur Eskalation.

Die beiden Brüder – inzwischen 35 und 36 Jahre alt – sagen als Zeugen aus, dass sie schlichten wollten. Sie hätten die Beteiligten gekannt, nicht richtig gut, aber eben doch von etlichen anderen Fußballspielen der Kinder. Teils waren es die eigenen Kinder, die mitkickten, teils die Neffen. Der Angeklagte hatte den beiden Brüdern zuvor sogar seine beiden Begleiter vorgestellt, zwei Verwandte. Der eine war aus der Türkei zu Besuch gekommen. Der andere war ein Neffe, der in Frankreich lebt.

„Ich wäre nie dazwischengegangen, wenn ich die Leute nicht gekannt hätte“, sagt der ältere Bruder. Ohnehin will er nach dieser Erfahrung nie wieder bei so etwas eingreifen. Er habe sowieso nur versucht, seinem Bruder zu helfen, der als Schlichter einen Faustschlag erhalten habe. Das Eingreifen war nicht ganz ungefährlich: Einer der mutmaßlichen Täter, der Angeklagte oder auch sein Neffe aus Frankreich, habe nach Messern gerufen. Beide hätten zudem Glasflaschen in der Hand gehabt – der Angeklagte wohl eine unbeschädigte, der Neffe gar eine zerbrochene. Der Angeklagte habe ihn schließlich mit der Flasche auf den Kopf schlagen wollen. Er selbst habe sich aber weggeduckt und deshalb nur noch einen Schlag auf dem Rücken gespürt, sagt er nun als Zeuge.

Der jüngere Bruder fragt sich ebenfalls, was ihm sein Eingreifen – das auch er als Akt der Zivilcourage beschreibt – eigentlich gebracht habe: Sein Sohn sei nun aus dem Eislinger Verein ausgeschlossen worden, mit der Begründung, dass der Verein keine Beteiligung an Schlägereien auf dem Platz dulden könne. Dabei sei es doch nur um Fußball gegangen, und um Kinder, die da gespielt haben – sieben- bis achtjährige Kinder.

Genau das habe er auch dem Angeklagten am Tag des Geschehens gesagt, nachdem dieser ihn gefragt habe, warum er ausgerechnet dem Geislinger Co-Trainer beistehen wolle. Schließlich sei der Co-Trainer ein Ungläubiger, ein christlicher Italiener. Der 35-jährige Zeuge ist aber nach wie vor der Meinung, dass Nationalität und Religion nichts mit dem Fußballspiel zu tun haben.

Auch der dritte Zeuge, ein 32-jähriger Bekannter der beiden Brüder, wollte nach eigener Aussage nur eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern. Er habe seinen Arm ausgestreckt, um einen Schlag mit der Flasche abzuwehren. Dabei sei er verletzt worden und habe sich daraufhin zurückgezogen: „Ich habe an der Hand geblutet. Da war ich selbst geschockt. Ich habe so etwas noch nie erlebt.“ Er selbst habe nicht geschlagen, zumindest nicht mit der Hand. Vielleicht habe er mit den Füßen getreten, um sich zu wehren und um zu entkommen.

Der Eislinger Trainer bestätigt die Aussagen der ersten drei Zeugen. Auch er habe gesehen, wie der Angeklagte sich mit einer Flasche in der Hand ins Getümmel stürzte, wohingegen „der Vater von einem meiner Spieler“ – eben der 35-jährige Zeuge – versucht habe zu schlichten. Er habe gedacht, dass der Schlichtungsversuch gelingen werde: „Die sprechen ja die gleiche Sprache.“ Nachdem aber Fäuste und Flaschen zum Einsatz kamen, habe er nur noch seine Mannschaft eingesammelt und habe sich mit allen in die Kabine zurückgezogen.

Genau zu diesem Rückzug hatte nach eigener Aussage der Organisator des Turniers per Lautsprecher mehrfach aufgerufen. Er hat auch sofort den Abbruch des gesamten Turniers verkündet. Über Details zur Schlägerei kann er allerdings nichts sagen, weil er erst dazukam, als sie schon in vollem Gange war.

Ein anderer Zeuge dagegen bestätigt sämtliche Aussagen der schlichtenden Brüder: Der Angeklagte und ganz besonders „der aus Frankreich“ seien ganz unglaublich aggressiv gewesen: „So was Aggressives habe ich noch nie gesehen.“ Die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen bekommt am Ende seiner Aussage allerdings einen Knacks: Der Angeklagte wirft ihm vor, schon einmal wegen einer ähnlichen Geschichte vor Gericht falsch ausgesagt zu haben. Der Zeuge muss daraufhin zugeben, damals wegen Falschaussage eine Strafe von 2 000 Euro gezahlt zu haben.

Wie es nun mit der strafrechtlichen Aufarbeitung der Massenschlägerei weitergeht, das wird der nächste Verhandlungstag am Dienstag zeigen. Wichtige Zeugen sind dann noch anzuhören. Nicht auftauchen wird allerdings der ominöse Neffe aus Frankreich. Sollte er nämlich in Deutschland kontrolliert werden, muss er damit rechnen, dass auch gegen ihn ermittelt wird.

Was bleibt als Fazit des ersten Verhandlungsvormittags? Positiv zumindest die Bereitschaft des Angeklagten, sich „bei allen Familien und Betroffenen, die beeinträchtigt wurden,“ zu entschuldigen – auch wenn er nachschiebt: „Eigentlich bin ich der Geschädigte.“