Kirchheim. Wer von der Stadt in die Natur zieht, sucht häufig etwas, das er in der Stadt nicht mehr zu finden glaubt: Ruhe, Natur, Beschaulichkeit. Viele Menschen, die aus Kirchheim wegziehen, sind von weniger romantischen Motiven getrieben: Sie kehren der Stadt den Rücken, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können, sagt Ingrid Riedl, Leiterin der Diakonischen Bezirksstelle in Kirchheim. Betroffen sind Menschen, die zu Niedriglöhnen arbeiten, Arbeitslose und Alleinerziehende.
Dass es in der Stadt immer weniger bezahlbaren Wohnraum gibt, hat verschiedene Gründe. Zum einen übersteigt speziell in Kirchheim die Nachfrage nach Mietwohnungen das Angebot, die Preise sind entsprechend gestiegen. Die hohe Zahl an neu gebauten Eigentumswohnungen bringt keine Erleichterung. Laut der Eigentümervereinigung „Haus und Grund“ nutzt die überwiegende Zahl der Käufer ihre Eigentumswohnung selbst und vermietet sie nicht.
Zum anderen werden nicht nur in Kirchheim, sondern im gesamten Landkreis Esslingen, zu wenige Mietwohnungen gebaut. Das Pestel-Institut hat im vergangenen Jahr eine Studie veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass es im gesamten Landkreis ein erhebliches Neubau-Defizit gibt. Mietwohnungen zu bauen, sei einfach unattraktiv gewesen, nannte Institutsleiter Matthias Günther einen Grund. „Was wir an neuen Mietwohnungen brauchen, ist mit der derzeitigen staatlichen Wohnungsbauförderung nicht hinzubekommen“, so seine Einschätzung.
Das beobachtet auch Ingrid Riedl. „Im gesamten Landkreis werden immer mehr alte Häuser abgebrochen und neue gebaut“, sagt sie. Alte Häuser werden häufig von Menschen mit niedrigerem Einkommen bewohnt, zu den neuen Häusern hätten sozial Schwächere jedoch keinen Zugang. „Da findet ganz klar eine Verdrängung statt“, sagt Ingrid Riedl. Überhaupt würden unsanierte Wohnungen oder Häuser überdurchschnittlich häufig von sozial Schwächeren bewohnt, weil sie sich Wohnraum mit höherem Standard nicht leisten können. „Die Kehrseite ist, dass die Energiekosten meistens ziemlich hoch sind“, sagt Ingrid Riedl. Das kann dazu führen, dass die Stromrechnung irgendwann nicht mehr bezahlt werden kann.
Dass es immer mehr Wohnungen gibt, die über Makler vermietet werden, trifft sozial Schwächere, vor allem Bezieher von Arbeitslosengeld II, besonders hart. „Das Jobcenter übernimmt die Maklergebühren nicht“, sagt Ingrid Riedl. Alle Wohnungen, für die eine entsprechende Provision fällig ist, kommen für sie damit nicht infrage. „Immerhin vergibt das Jobcenter Darlehen für die Kaution“, sagt Ingrid Riedl. In der Regel können die Jobcenter-Klienten die Kaution in 50-Euro-Schritten abstottern.
Der Landkreis Esslingen hat auf die steigenden Mietpreise reagiert, indem er die Mietobergrenzen für Menschen, die von staatlicher Unterstützung leben, angehoben hat. Seit 2012 darf eine 90 Quadratmeter große Wohnung für eine vierköpfige Familie in Kirchheim, Dettingen, Notzingen, Ohmden oder Owen 570 Euro kosten, eine 45-Quadratmeter-Wohnung für einen Single 360 Euro.
Damit kommen zwar mehr Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen infrage, die Zahl der Wohnungen insgesamt wird jedoch nicht größer. Günter Riemer weiß, dass es gerade für Singles und Familien mit Kindern an Mietwohnungen fehlt. „Wir haben in Kirchheim zu viele Zwei-Zimmer-Wohnungen und zu wenige Ein- beziehungsweise Vier-Zimmer-Wohnungen“, sagt der Kirchheimer Bürgermeister. An dieser Schieflage kann die Stadt jedoch nur bedingt etwas ändern. „Es ist nicht üblich, dass Kommunen als Bauträger tätig werden. Und ein attraktives Landesprogramm für sozialen Wohnungsbau gibt es aktuell nicht“, sagt Günter Riemer. In den 80er-Jahren hatte es in Kirchheim zahlreiche Bauträger gegeben, die im sozialen Wohnungsbau tätig waren. Mittlerweile ist die Förderung ausgelaufen, die meisten Wohnungen wurden in regulären Wohnraum umgewandelt.
Kirchheim besitzt jedoch rund 300 städtische Wohnungen, in denen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen kein Dach über dem Kopf mehr haben, untergebracht werden können. „Das ist eine gesetzliche Aufgabe der Stadt“, sagt Günter Riemer. Potenzielle Mieter seien Berber, aber auch Familien oder Alleinstehende, die aufgrund von Krankheit, Trennung oder Tod in eine soziale Schieflage geraten sind. „Viele kommen aus der Mitte der Gesellschaft“, sagt Riemer. Die Fachstelle zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist außerdem in Kontakt mit privaten Vermietern, die ihre Wohnungen obdachlos gewordenen Menschen zur Verfügung stellen.
Städtische Wohnungen findet man beispielsweise im Lindorfer Weg, in der Reutlinger Straße, in der Nürtinger Straße und künftig auch in der Dettinger Straße nahe der Jet-Tankstelle. „Dieses Gebäude haben wir erst kürzlich erworben, weil das Gebäude in der Nürtinger Straße wegen dem Gewerbegebiet Hegelesberg fallen wird“, sagt Günter Riemer. „Wir kaufen ab und zu dazu, stoßen aber auch wieder Wohnungen ab“. Viele der Wohnungen seien auf keinem besonders hohen Niveau. Allerdings versucht die Stadt, das zu ändern. „Wir sanieren die Wohnungen in der Reutlinger Straße mit Zuschuss und bringen sie auf einen besseren Stand, was Gebäudezuschnitt und Energieverbrauch angeht“, so Riemer.
Allerdings weist Günter Riemer darauf hin, dass die rund 300 Wohnungen „hinten und vorne nicht reichen“. Mehr Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen: Diese Aufgabe will die Stadt in diesem Jahr angehen – auch auf Drängen einiger Gemeinderatsfraktionen. Günter Riemer weiß jedoch, dass das nicht einfach wird. „Wir könnten Bauträger motivieren, ihre Preise günstig zu halten. Das ist aber momentan schwierig, weil der Wohnungsmarkt wahnsinnig unter Druck ist“. Dass die Stadt selbst Wohnungen baut, ist momentan nicht geplant. „Dafür haben wir keinen politischen Auftrag“.