Erster Prozess um tödliche Messerattacke am Obertor vor dem Abschluss
„Red Legion“-Rockern droht lebenslange Haft

Fast zwei Jahre nach dem Überfall auf zehn Mitglieder der „Black Jackets“ vor einer Shisha-Bar in der Entengrabenstraße, bei der ein 22-Jähriger durch Messerstiche getötet wurde, steht der erste von insgesamt drei Prozessen vor dem Abschluss. Geht es nach Staatsanwalt und Nebenklägern, müssen alle acht Angeklagten lebenslang hinter Gitter.

Esslingen. In ihren Plädoyers werteten Staatsanwalt Thomas Hochstein und die Vertreter der Nebenklage das Verbrechen vom 22. Dezember 2012 als gemeinschaftlichen Mord sowie zweifachen versuchten Mord. Das setzt voraus, dass die Angreifer, die der inzwischen verbotenen rockerähnlichen Bande „Red Legion“ angehören, einen gemeinsamen Tatplan hatten, der den Tod eines Menschen zumindest billigend in Kauf nahm. Dann spielt es keine Rolle, wer den tödlichen Stich ausgeführt hat. Das ließ sich im Prozess nämlich nicht mit Gewissheit klären.

„Der Staatsanwalt und wir Nebenkläger sind uns einig, dass sich so ein hinterlistiger Überfall ohne einen Tatplan gar nicht durchführen lässt“, sagt der Esslinger Anwalt Thomas Mende, der die Eltern und den bei dem Überfall schwer verletzten Bruder des Getöteten vertritt. Weil die Tat aus „niederen Beweggründen“ ausgeführt worden sei und überdies das Mordmerkmal der Heimtücke erfülle, forderten Staatsanwalt und Nebenkläger die Höchststrafe.

Die Verteidiger der Angeklagten schätzen den Fall ganz anders ein: Zwei von ihnen forderten gestern für ihre Mandanten lediglich eine Verurteilung wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung. Aufgrund der langen Untersuchungshaft kämen die Angeklagten in diesem Fall sofort frei.

Die genauen Hintergründe des tödlichen Bandenstreits bleiben auch nach 71 Verhandlungstagen rätselhaft. Der Staatsanwalt geht davon aus, dass die „Red Legion“ die verfeindeten „Black Jackets“ ein für alle Mal aus der Stadt vertreiben wollte. Dafür spricht jedenfalls der Satz „Was macht ihr in Esslingen?“, mit dem einer der Täter den ehemaligen Präsidenten der „Black Jackets“ vor der Shisha-Bar empfing, ehe die zahlenmäßig überlegene Meute mit Messern und Schlagwerkzeugen über die zehnköpfige Gruppe herfiel.

Die Angeklagten selbst trugen wenig zur Aufklärung des Verbrechens bei. Zwar brachen einige von ihnen im Laufe des Prozesses ihr anfängliches Schweigen, wirklich Erhellendes oder gar Reue habe er aber von keinem gehört, sagt Thomas Mende: „Sie haben lediglich versucht, ihren eigenen Tatbeitrag herunterzuspielen“, berichtet der Anwalt.

Das Urteil in diesem Prozess wird für Anfang Oktober erwartet. Die juristische Aufarbeitung des brutalen Verbrechens ist damit aber noch längst nicht abgeschlossen, denn parallel laufen am Stuttgarter Landgericht noch zwei Prozesse zu diesem Fall mit zehn weiteren Angeklagten. Um einen Mammutprozess wie nach dem Waisenhof-Überfall im Jahr 2009 zu verhindern, hatte die Staatsanwaltschaft den Fall bereits zu Beginn in zwei Verfahren aufgesplittet. Daraus wurden schließlich sogar drei, weil das Verfahren gegen drei Heranwachsende abgetrennt worden war. Grund: Der psychologische Gutachter, der beurteilen sollte, ob die Männer, die zur Tatzeit unter 21 Jahre alt waren, nach Erwachsenen- oder nach Jugendstrafrecht zu beurteilen sind, hatte sich während der Sitzungen mit anderen Dingen beschäftigt und war daraufhin für befangen erklärt worden.

In der Praxis haben die drei parallel geführten Prozesse zu einigen Problemen geführt. So mussten Aussagen der Angeklagten von den Staatsanwälten auch in den jeweils anderen Prozessen vorgetragen werden. Traumatisierte Zeugen mussten drei Mal dieselbe Aussage machen. Und das Ziel, die Verfahren zu beschleunigen, wurde auch nur bedingt erreicht: Rechnet man alle drei Prozesse zusammen, werden die 196 Verhandlungstage aus dem Waisenhof-Prozess am Ende wahrscheinlich sogar überschritten.