Wendlingen. Zu einem Vortrag mit anschließender Diskussion in Wendlingen hatten der CDU-Stadtverband Wendlingen, die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Kreisverband Esslingen (CDA) und der Arbeitskreis Polizei des CDU-Kreisverbands Esslingen ins Hotel-Restaurant Löwen eingeladen.
Im proppenvollen Nebenraum begrüßte Peter Schuster, Vorsitzender der CDA, die Gäste, darunter den Landtagsabgeordneten Karl Zimmermann und Rainer Staib, den stellvertretenden Vorsitzenden des CDU-Arbeitskreises der Polizei Bezirk Nordwürttemberg. Schuster stellte die von Ministerpräsident Kretschmann im Landtagswahlkampf versprochene „Politik des Gehörtwerdens“ in Abrede angesichts der geplanten Polizeistrukturreform. Er bezeichnete die SPD als „arbeitnehmerfeindliche Partei“, nachdem sich etwa 4 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der bisherigen Polizeidirektionen durch die Umstrukturierung in große Polizeipräsidien neu bewerben müssten und dadurch ganze Familien zerrissen würden oder umsiedeln müssten.
Der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft warf der grün-roten Landesregierung vor, Baden-Württemberg damit „zu einem zentralistischen Einheitsstaat umgestalten“ zu wollen. „Die Polizeistrukturreform ist reine Geldverschwendung“, sagte Schuster. Sie führe zu weniger Effizienz in der Polizeiarbeit und zu schlechteren Arbeitsbedingung für die Beamten.
Welche Auswirkungen die Polizeireform auf die Beamten und die Bevölkerung hat, darauf ging Joachim Lautensack in seinem anschließenden Referat ein. Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) machte dabei gleich zu Beginn deutlich, was er von der Reform hält: „Ich weiß nicht, was sie bringen soll. Was nicht zusammenpasst, kommt nicht zusammen.“ Joachim Lautensack, bereits seit über 40 Jahren Polizist, sieht in der Reform ein Instrument, das keinen Stein auf dem anderen lässt. Die Arbeit von den heute vier Polizeipräsidien und 36 Polizeidirektionen soll auf zwölf Regionalpräsidien verteilt werden, landkreisüberschreitend und über Regierungsbezirke hinweg. Das erfordere neue Vernetzungen, neue Zuständigkeitsbereiche und neue Ansprechpartner, machte Lautensack deutlich, der seit 2003 als Landesvorsitzender der DPolG die Belange der Arbeitnehmer der Polizei vertritt. „Die Reform grenzt an eine Revolution,“ sagte Joachim Lautensack.
Unverständlich ist für den leitenden Polizeidirektor aus Bruchsal, dass man mit der Reform ein hocheffizientes System zerschlage. Die Leistungsbilanz der Polizei in Baden-Württemberg sei hervorragend. Bei der Personalanzahl stehe die Polizei an zweitletzter Stelle im Ländervergleich, und trotzdem könne sie eine höhere Aufklärungsquote vorweisen als andere Bundesländer mit mehr Polizeibeamten.
Lautensack bemängelte, dass Innenminister Gall eine Projektgruppe für die Reform installiert habe, die hinter verschlossenen Türen getagt habe. Weder die Gewerkschaften noch der Hauptpersonalrat noch Kommunen und Landkreise seien daran beteiligt worden. Zwar hätten sich die Mitarbeiter an das Ministerium mit Fragen und Vorschlägen wenden können, doch nichts davon sei aufgegriffen worden. Lautensack widersprach der Sichtweise, die Polizeireform sei eine Reform von Polizisten für Polizisten. Der Reformauftrag sei nicht von der Polizei gekommen, sondern von der Politik. Tatsächlich sei zwar die Polizei im Streifendienst überlastet, doch dies hätte mit punktuellen Optimierungen und weniger Aufwand in Angriff genommen werden können. Laut dem Innenminister kostet die Reform 120 bis 170 Millionen Euro, die CDU schätzt die Kosten sogar auf 400 bis 500 Millionen Euro. Lautensack fragt sich, wo dieses Geld angesichts der Haushaltstrukturreform eingespart werden soll.
Dabei kritisiert er die Haltung der Regierung. Grundsätzliche Dinge der Reform seien im Kabinett entschieden worden, das entspreche jedoch nicht einer Politik des Gehörtwerdens. Viel Kritik habe Grün-Rot dafür von den Gewerkschaften und Kommunen einstecken müssen.
Als Lüge bezeichnete Joachim Lautensack, dass die Cyber-Kriminalität mit ein Grund sei für die Reform. Diese sei mit den bisherigen Organisationsstrukturen der Polizei nicht zu bewältigen. Hier nannte er den Fall Bögerl in Heidenheim, der kleinsten Polizeidirektion. Tatsächlich könne kaum eine Polizeidirektion über Jahre fast 100 Polizeibeamte für einen Fall abstellen. Hier sei man stets auf andere Dienststellen mit angewiesen.
In dem gut eineinhalbstündigen Vortrag nannte Lautensack noch eine Reihe weiterer Kritikpunkte an der Reform wie beispielsweise die Zentralisierung der Ausbildung, zu große Zuständigkeitsbereiche sowie lange Anfahrtswege zum Einsatzort, was wiederum Zeitverlust und weniger Präsenz bedeute. Die Neuverteilung von 4 000 Stellen werde ab Februar 2013 beginnen und erst im Dezember 2013 enden.
Während dieser Zeit und schon vorher würden die Mitarbeiter in der Luft hängen. Noch nicht eingerechnet sei hier die lange Entscheidungsdauer bei Härtefällen. So lange hätten die Polizisten und ihre Familien keine Sicherheit. Ein unhaltbarer Zustand, so Lautensack – auch nachdem die Polizei in der Vergangenheit noch unter der alten Regierung schon mehrfach Reformen (2000, 2004 und 2005) hat über sich ergehen lassen müssen. „Die Polizei ist der Reformen überdrüssig.“