Über deutsche Alleingänge beim schnellen Ausstieg aus der Kohle und der Kernkraft ärgert sich Renata Alt schwarz: „Diese Entwicklung ist alles andere als gesamteuropäisch“, schimpft die FDP-Bundestagsabgeordnete, die nicht nur in Sachen Energiepolitik mehr Europa fordert. „Jetzt gibt es kein Zurück mehr“, bedauert sie und rechnet bald mit wachsender Instabilität der Netze, da der Energiebedarf steigt. „Wenn wir Strom aus Kernkraftwerken aus Frankreich kaufen müssen, ist auch nichts gewonnen“, sagt sie. Länder, die Kernkraft nutzten, führten vor allem ins Feld, dass es hier keinen CO2-Ausstoß gäbe. Den Ansatz anderer Staaten findet sie berechtigt: Manche hätten auf eine andere Reihenfolge gesetzt, nämlich erst mal nur den Ausstieg aus der Kohle.
„Ökologie und Ökonomie müssen Hand in Hand gehen“, lautet das Credo der Kirchheimerin. Oder anders gesagt: „Natürlich müssen wir uns ums Klima kümmern, aber wir brauchen auch Arbeitsplätze.“ Viel habe sich auch schon verbessert, meint sie und erinnert an regelmäßigen Smog-Alarm früher in Berlin und an Flüsse, in denen keiner schwimmen durfte. Dass sich in den Köpfen der Unternehmerinnen und Unternehmer derzeit sehr viel bewege, beobachtet sie auf ihren Touren durch den Wahlkreis: „Alle sind dabei, sich nachhaltiger auszurichten.“
Erschwinglicher Wohnraum ist ebenfalls ein wichtiges Thema für die Menschen rund um die Teck. Nicht mal der Appell „bauen – bauen – bauen“ nutze etwas, weiß die Freidemokratin, denn die nächste Frage laute: Wo? Darauf hat sie durchaus Antworten: Mit Kreativität will sie an innerörtliche Flächen rangehen. So ist ihr ein Rätsel, dass Supermärkte angelegt werden, ohne von Büro- oder Wohngebäuden gekrönt zu werden. Oft könne man Dächer aufstocken und doch nicht gleich ein Hochhaus-Feeling erzeugen. Ihre Stadtratsfunktion in Kirchheim sowie ihre Rolle als Vorsitzende des FDP-Ortsverbandes helfen ihr, den Bezug zur Basis nicht zu verlieren. Der fehle vielen in Berlin. „Ich bin glücklich, die kommunalen Probleme im Gemeinderat hautnah zu erleben und auf Bundesebene zu transferieren.“
Alts Interessen reichen weit über das lokale Umfeld hinaus. Dass das Außenministerium um Heiko Maas die Entwicklung in Afghanistan nicht vorhergesehen hat, quittiert sie mit vielsagendem Kopfschütteln. Die FDP habe
um unsere
Sicherheit machen.
zeitgleich mit den Grünen im Juni beantragt, die Ortskräfte aus dem Land zu bringen. Die Folgen der verpassten Chance seien dramatisch: Das Image der westlichen Staaten sei angekratzt. Gleichzeitig wachse das Selbstbewusstsein der Islamisten, möglicherweise komme es dadurch zu einem neuen Anschlag: „Die Weltlage wird unsicherer“, bilanziert sie besorgt und warnt auch vor Destabilisierungsversuchen durch China, das oft die Rolle des lachenden Dritten einnehme. Eine der Aufgaben für Deutschland sieht sie darin, international Mediatorenfunktion einzunehmen.
Dass der Kampf für Menschenrechte und Freiheit nicht überall auf Verständnis stößt, ist Renata Alt gewöhnt. Persönlich ist sie immer wieder Hassmails im Kontext mit Äußerungen zur Pressefreiheit in Russland oder Ungarn ausgesetzt und war sogar jüngst Ziel einer Cyber-Attacke, hinter der sie Russland vermutet.
Die Visegrad-Länder Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn liegen ihr besonders am Herzen. Nicht nur, weil sie viele ihrer Sprachen beherrscht und längst anerkannte Expertin für den Osten Europas ist. Vor allem schätzt sie deren Wirtschaftsstärke: „Die Visegrad-Länder sind noch vor China und den USA Deutschlands wichtigster Handelspartner.“ Die Kontakte pflegt sie engagiert und lobt als Beispiel die unbürokratische Grenzregelung für die 30 000 Pendler an den Ostgrenzen im Zuge des Lockdowns. Sie habe sogar als Modell für Frankreich gedient. Kürzlich war die FDP-Abgeordnete gemeinsam mit dem Bundespräsidenten in Prag. Eines der Ziele: Die Anbindung der nahe an Deutschland gelegenen Hauptstadt an München zu verbessern.
Mit wem die FDP ihre Vorstellungen im Rahmen einer Koalition am ehesten verwirklichen könnte, diese Frage lässt Renata Alt offen. An den Wahlständen warnten sie Bürgerinnen und Bürger immer vor einem „Linksruck“. „Vor dem Wahltag am 26. September wissen wir wirklich nicht, wie es weitergeht“, wehrt sie sich dennoch gegen Prognosen. Übereinstimmungen mit Grün oder Rot kann man in ihren Äußerungen kaum erkennen, doch auch dem CDU-geführten Gesundheitsministerium stellt sie ein verheerendes Zeugnis aus: Ein einziges Chaos sei das Corona-Management gewesen, von der Vorsorge durch Masken bis zur Verteilung von Impfstoffen. Serbien beispielsweise sei früher flächendeckend mit Impfstoff versorgt gewesen. Heute hat sich das Blatt bekanntlich gewendet, der Impfstoff verfällt sogar teilweise. Eine Impfpflicht ist nicht das Ziel der FDP, doch für Renata Alt ist klar: „Wenn ich geimpft bin, dann will ich meine Rechte zurück.“
Renata Alts Weg in die Politik
Renata Alt wurde am 27. August 1965 in Skalica in der Tschechoslowakei geboren. Die diplomierte Chemie-Ingenieurin wurde im Jahr 1992 vom Auswärtigen Amt in Prag als Diplomatin nach Deutschland entsandt. Nach ihrer Tätigkeit als Wirtschaftsattaché im Generalkonsulat der Tschechoslowakischen Republik sowie der Slowakischen Republik in München arbeitete Renata Alt ab 1994 im Consulting im Bereich Außenhandel. Seit dem Jahr 1997 ist sie zudem wissenschaftliche Beraterin im Bereich Lebensmittelchemie, Biotechnologie und Biochemie.
In die FDP trat Alt 2009 ein, wurde 2015 Mitglied im Landesvorstand und ist seit 2017 im Bundestag. Sie gestaltet im Auswärtigen Ausschuss mit Begeisterung die Außenpolitik mit, wo sie sich für Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzt. Sie ist Berichterstatterin der Fraktion für Russland und die Ukraine, den Balkan, Mittel- und Osteuropa sowie die Länder der Östlichen Partnerschaft.
Für ihren Wahlkreis Nürtingen und für Deutschland will Renata Alt im Bundestag vor allem erreichen, dass Digitalisierung auf allen Ebenen vorangetrieben wird, bürokratische Hürden in den Verwaltungen reduziert werden, insbesondere im Bauwesen, damit schnell neuer Wohnraum geschaffen werden kann und die kritische Infrastruktur wie Storm- und Wasserversorgung, Krankenhausbetriebe und Unternehmen vor Cyberangriffen geschützt werden. „Dafür brauchen wir in Deutschland und Europa eine starke gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“, lautet ihr Credo. tb