Lokales
Respektlos

Alle Kühe machen muh! Weshalb Dinge hinterfragen und womöglich ändern, wenn alles gut läuft? Die Kuh ist lila, die Milch fließt aus dem Tetrapack und die Anregung, einen Veggie-Day einmal die Woche einzuführen, ist Bevormundung und lässt sich prima als Wahlkampfthema ausschlachten. Im Supermarkt um die Ecke gibt es schließlich alles und jedes zu kaufen, wenn‘s sein muss, auch kiloweise Rinderhack im Sonderangebot oder 50 verschiedene Joghurt-Sorten. Alles ist zu billigen Preisen im Überfluss vorhanden, und wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, landen Nudeln & Co. einfach im Müll, obwohl noch bestens erhalten und ohne jede Gefahr für Leib und Leben genießbar.

Wer denkt da schon an die Kehrseite der Medaille? Um Lebensmittel zu produzieren, ist viel Energie vonnöten – sei es Arbeitskraft, Geld oder Rohstoffe. Dies alles fehlt anderswo. Es entstehen sowohl dem Privathaushalt unnötige Kosten als auch der Volkswirtschaft. Ganz zu schweigen von all den Menschen, die kaum Geld zum Überleben haben. Um sie zu finden, braucht man nicht nach Afrika zu gehen, es reicht ein aufmerksamer Blick im eigenen Umfeld.

An die Nase fassen können sich alle Beteiligten: Verbraucher und Erzeuger, Industrie und Handel und nicht zuletzt die Politik, die EU-weit die krumme Gurke zum „No go“ erklärte, damit das Gemüse ja in gerade Kisten passt. Dies zeigt auf erschreckende Weise, wie viele Menschen sich bereits in einer Plastik- und Normenwelt eingerichtet haben, in der lebendige Dinge wie Lebensmittel in ein Korsett gezwängt werden, um an den Kunden gebracht werden zu können. Die Krönung des Ganzen – um nicht zu sagen, des Abartigen – ist die vom Handel vorgegebene Farbtabelle für Äpfel. Für Top-eins-Ware muss das Verhältnis von Rot- und Gelbtönen eingehalten werden. Dafür wird jeder einzelne Apfel gescannt.

Mehr Respekt vor Lebensmitteln samt ihren ganz natürlichen Eigenschaften täte allen gut. Um dieses Bewusstsein in der Überflussgesellschaft wieder in die Köpfe zu bekommen, bedarf es mannigfaltiger Aufklärung. Das fängt in den Familien an, geht über die (Koch-)Schulen weiter und endet noch lange nicht in Aufklärungskampagnen von Landfrauen und Veganern. IRIS HÄFNER