Bundesjustizministerin a.D. Herta Däubler-Gmelin fordert bei „kreuz & quer“ zur Einmischung auf
Salz in die Wunden streuen, um etwas zu verbessern

Am Samstag ist die Weilheimer Reihe „kreuz & quer – Kirche neu erleben“ gestartet. Die Referentin des Abends stellte Pfarrer Peter Brändle wie gewünscht als „Professor Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesjustizministerin a.D. und leidenschaftliche Großmutter“ vor.

Weilheim. Um 10.03 Uhr hatte Pfarrer Brändle eines Tages per Mail bei Herta Däubler-Gmelin angefragt, um 11.22 Uhr kam die Zusage – aus Vietnam, wo die Referentin zur Verfassung beriet. Auch eine Grippe konnte ihr Feuer kaum bremsen. Wäre sie noch Abgeordnete – nach 37 Jahren im Bundestag kandidierte sie 2009 nicht mehr – müsste sie keine Weilheimer Nebeneinkünfte angeben. Sie bat lieber um eine Spende für die Hospizarbeit, deren Schirmherrin sie ist.

„Alles umsonst? Christlicher Glaube und gesellschaftliche Verantwortung“ war Herta Däubler-Gmelins Vortrag überschrieben. „Man muss sich einmischen“, betonte sie mehrfach vor rund 150 Zuhörern. „Ich bin in den 1950er-Jahren aufgewachsen, als das weder für Christen noch für Frauen so richtig üblich war.“ Ein Vertreter des Auswärtigen Amts sagte ihr damals: „Vergessen Sie es, werden Sie Erzieherin, wir stellen keine Frauen ein.“ Sie war so verärgert, dass sie erst recht Jura studierte.

„Heroische Widerstandsleistungen sind in unserer Gesellschaft relativ selten“, sagte Däubler-Gmelin. Es gebe große Themen wie etwa die Atomkraft. „Mühsam und schwierig wird es, wenn einen das Thema nicht aus dem Sessel reißt, wenn es um die Mühen der Ebene geht.“ Doch genau das sei in einer funktionierenden Demokratie der Normalfall.

Zwei Bibelstellen zitierte Däubler-Gmelin, um die geforderte Einmischung zu begründen: Zum einen das „Suchet der Stadt Bestes“, das der Prophet Jeremia an die nach Babylon verschleppten Juden schrieb. Zum anderen Jesu Zuspruch an seine Jünger, das „Salz der Erde“ zu sein. „Salz würzt die Speise, das ist angenehm. Doch Salz brennt auch. Man muss Salz in die Wunden reiben, um etwas zu verbessern.“ Zugleich warnte Däubler-Gmelin: „Als die Kirche dachte, bestimmen zu können, was der Staat zu tun hat, das waren nicht die besten Zeiten.“

Was ist mit dem Einwand „die machen ja doch, was sie wollen“? „Der Unterschied ist, bei uns kommt es wenigstens raus.“ Werde ein chinesischer Ministerpräsident aus armen Verhältnissen plötzlich reich, herrsche Zensur. Betrüge bei uns einer bei der Doktorarbeit, stelle sich die Frage: „Finde ich das bloß eklig oder kümmere ich mich darum?“

Ist nicht sowieso vieles alternativlos, wie gern behauptet? „Das ist es überhaupt nicht“, widersprach Däubler-Gmelin. Es sei nur mühsam, sich mit einem Problem ernsthaft zu befassen. Sie rief dazu auf, auch dann, wenn das Feuer nicht direkt unter dem Dach brennt, die Gesellschaft lebenswerter und menschlicher zu machen. Plattformen wie abgeordnetenwatch.de machten die Beteiligung einfacher. „Nutzen Sie die Sprechstunden Ihrer Abgeordneten“, riet sie. Auch Betriebsräte, Vereine oder Kirchengemeinderäte könnten Abgeordnete zu Gesprächen einladen. „Ein Beispiel: Bei Lidl, der Bahn und der Telekom wurden Arbeitnehmerrechte mit Füßen getreten. Heute ist das als Skandal bekannt. Jetzt gibt es den Entwurf eines Arbeitnehmer-Datenschutzgesetzes. Wenn das Gesetz wird, könnte man alles das wieder machen.“

Doch haben heutige Berufstätige überhaupt noch Luft für ein Engagement? „Viele stehen unter starkem Druck“, antwortete Däubler-Gmelin auf diese erste Rückfrage. „Es gibt Situationen und Zeiten, wo man es nicht kann. Man muss es ja nicht das ganze Leben hindurch tun.“

Für musikalische Unterhaltung sorgten das für „kreuz & quer“ eigens aufgebaute Singteam unter der Leitung von Bernd Gienger und die Stadtkapelle mit Spirituals. Für „kreuz und & quer“ – und danach – hat die Kirchengemeinde übrigens extra ein 115-seitiges Liederbuch erstellt.

 

Die Veranstaltungsreihe „kreuz & quer“ geht noch bis Sonntag, 4. November. Am heutigen Montag spricht die Tübinger Theologin und Psychologin Beate Weingardt zum Thema „Alles wieder gut? Von der Vergebung“. Außerdem treten Tänzerinnen von Heike Planitz’ „Tanzcocktail“ auf. Musik gibt es ab 19.30 Uhr, der Vortrag beginnt um 20 Uhr. Das komplette Programm gibt es im Internet unter www.peterskirche-weilheim.de.