Ausstellung „Schwarz wie die blaue Nacht am Tag“ in Bissingen und Ochsenwang
Scherenschnitte und schlechte Brüderinfo

Bissingen. Sie ergänzen sich bestens, die Texte und Scherenschnitte der neuen Ausstellung „Schwarz wie die blaue Nacht am Tag“ im Mörikehaus Ochsenwang und im Bissinger 


PETER DIETRICH

Rathaus. Wer etwa Ursula Kirchners Scherenschnitt zu Mörikes „Waldplage“ betrachtet, meint die stechenden Plagegeister summen zu hören.

Zur Ausstellungseröffnung wurde ein vielseitiges Programm vorbereitet. Die Kirchheimer Scherenschneiderin Brigitte Springmann gab in der Kirche in Ochsenwang eine Einführung in die Kunst des Scherenschneidens, Kristin Rheinwald aus Stuttgart beleuchtete das schwierige Verhältnis zwischen Mörike und seinen vier Brüdern. Die Eröffnung wurde im Rathaus Bissingen mit Posaunenklängen, Bürgermeister Marcel Musolf, Führungen und Schauschnei­den fortgesetzt.

Auf einen besonders schönen Scherenschnitt der 1917 verstorbenen Luise Walther geborene von Breitschwert musste Mörikehaus-Leiterin Gisa König leider verzichten. Das Kunstwerk war zuletzt in einer Tübinger Ausstellung zu sehen und muss nun drei Jahre unter kontrollierten Bedingungen im Archiv gelagert werden. Dennoch hat die Ausstellung viele Schätze von Luise Walther, Ulrich Meyer, Ursula Kirchner, Hedwig Goller, Brigitte Springmann und Adelheid Kreisz zu bieten. Von Szenen und Gestalten aus dem Stuttgarter Hutzelmännlein über den Frühling bis zur schönen Lau reicht das Programm. König hatte sogar an eine Aufführung von Mörikes „schlim­mer Gret“ gedacht. Dieses Werk dürfe nur in einer alten Mühle aufgeführt werden. Eine solche hat aber weder Ochsenwang noch Bis­singen zu bieten.

Nach dem musikalischen Auftakt von Kirchenmusikdirektor Ernst Leuze ging Springmann zu den Wurzeln der Scherenschnitte zurück. Sie liegen in Ostasien. Die ältesten Schnitte stammen aus dem fünften bis sechsten Jahrhundert vor Christus. Papier war noch nicht erfunden, sie wurden aus Gold- oder Silberfolie geschnitten. Erst im 17. Jahrhundert tauchten erste Papierschnitte in Mitteleuropa auf, lange wurden nur weißes Papier und Pergament verwendet. Frühe Sche­renschnitte sind in Klöstern geschnittene Andachtsbildchen, zeigen Ornamente oder Familienwappen.

Mitte des 18. Jahrhunderts kam der Boom: Die Silhouette wurde entdeckt. Sie war billiger als ein gemaltes Porträt. Zentrum dieser Mode war Paris, ganze Berufszweige lebten davon. Weil ein Schatten nicht weiß war, kam der Wechsel zu schwarzem Papier. Erst die Erfindung der Fotografie ließ die Silhouette wieder in den Hintergrund treten.

Sehr oft, so Springmann, hätten die in der Ausstellung vertretenen Künstler die gleichen Werke Mörikes aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Ihre Scherenschnitte zeugten von hoher Kunstfertigkeit. Über eine solche verfügte auch Cordula Menteles, die zwei Mörike-Lieder präsentierte.

Eher selten beschäftigt sich die Mörike-Forschung mit Mörikes Brüdern. Der Vortrag der Stuttgarter Mörike-Fachfrau Kristin Rheinwald machte klar, warum. Im Jahr 1817 schien die Brüderlichkeit noch intakt: Die Brüder schworen sich, ihre gegenseitigen Pflichten treu zu erfüllen und einander noch im Grabe und in der Ewigkeit zu lieben. Später sah das dann anders aus, die bankrotten Brüder waren für Mörike eine Belastung. Karl Mörike, der Älteste der Geschwister, war im Staatsdienst. Nach Unregelmäßigkeiten in seiner Amtsführung versuchte er, zur Ablenkung einen Aufstand zu fingieren. Dennoch landete er ein Jahr in Festungshaft auf dem Hohenasperg. Später folgten weitere Gefängnisaufenthalte von einem halben Jahr und dreieinhalb Jahren.

Der jüngere Bruder August stand Mörike dem Wesen nach am nächsten. Er verstarb plötzlich. „Hat er wegen unerfüllbarer Berufswünsche Suizid begangen? Vieles spricht dafür“, sagte Rheinwald. Das Leben von Bruder Louis zeige viele Zeichen von Unständigkeit, er sei in Finanznöten gewesen. Adolf, vierter Bruder und Sorgenkind der Familie, versuchte sich vergeblich als selbstständiger Instrumentenbauer. Auch er geriet in Haft und ertrank im Gardasee. „Alle vier Brüder hatten ein schwieriges Verhältnis zu kontinuierlicher Arbeit und Gelderwerb“, fasste Rheinwald zusammen.

Karl Mörike versuchte sich als Autor eines Lustspiels. Der Fünfakter „Des Vaters Geburtstag“ wurde 1838 gedruckt, aber nie aufgeführt. Eduard Mörike wird mehrfach zitiert, aber ohne Angabe des Verfassers. Rheinwalds Vermutung: „Ob Eduard darauf bestanden hat, um nicht mit dem Werk in Verbindung gebracht zu werden?“ Solch eine mögliche Distanzierung darf aber nicht täuschen: Die brüderlichen Bande durch Musik und Poesie wurden trotz aller Probleme aufrechterhalten.

Die Ausstellung ist bis März 2014 zu sehen. Das Mörikehaus Ochsenwang hat nach vorheriger Vereinbarung unter der Telefonnummer 0 70 23/23 04 geöffnet. Der Ausstellungsteil im Rathaus in Bissingen ist während der üblichen Bürozeiten zu besichtigen. Nach Ende der Ausstellung wird das Mörikehaus Ochsenwang für einige Zeit zur Modernisierung geschlossen.