85-jährige Großmutter wird nach dem Einkauf getötet – Nachbarn rätseln über die möglichen Motive der Tochter
Schock in der Gartenstadt

Esslingen. So kennen viele Nachbarn die alte Frau aus der Hindenburgstraße 213: Mit dem Einkaufswagen war Hertha H. gestern vor 9  Uhr wieder einmal unterwegs, um


in Oberesslingen ihre täglichen Besorgungen zu erledigen. Unterwegs hat sie mit Bekannten ein paar Worte gewechselt und erzählt, zum Mittagessen erwarte sie die Enkel. Auch den Speiseplan hat sie bei diesen Begegnungen verraten. Krautwickel sollte es geben. Doch zu dem Essen ist es nicht mehr gekommen. Kurz nach ihrer Heimkehr in die Gartenstadt, die sich auf der östlichen Seite der Schorndorfer Straße in Richtung Zell erstreckt, war die verwitwete Frau tot. Die Polizei geht davon aus, dass sie von der eigenen Tochter getötet worden ist. Noch am Tatort wurde die 59-Jährige vorläufig festgenommen.

Zu möglichen Motiven und weiteren Details wollten sich Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst nicht äußern. Man müsse erst die laufenden Ermittlungen abwarten, hieß es. Zu den dürren Informationen gehört zunächst der Hinweis, der Leichnam habe blutende Verletzungen aufgewiesen. Die 34-jährige Enkelin hatte die Großmutter in der Küche gefunden und die Rettungskräfte alarmiert. Der Notarzt konnte allerdings nur noch den Tod der Frau feststellen. Am gestrigen Nachmittag wurde die Tochter dem Haftrichter vorgeführt. Dieser erließ den von der Staatsanwaltschaft Stuttgart beantragten Unterbringungsbefehl und wies die Beschuldigte in eine psychiatrische Klinik ein, da eine psychische Erkrankung vorliegt.

„Ich bin völlig geschockt“, sagt ein alter Mann, der mit Hertha H. in der Gartenstadt aufgewachsen ist und sie regelmäßig gesehen und gesprochen hat. Gelegenheit bot sich dazu auf der Straße oder bei Jahrgangstreffen. Ähnlich äußern sich viele Nachbarn. Niemand kann sich erklären, wie es zu der Bluttat gekommen ist. Spekuliert wird immerhin, dass es um finanzielle Fragen gegangen sein könnte. Die Tochter habe im Textilhandel mit geschäftlichen Problemen gekämpft, so wissen manche zu berichten. Ihre Ehe sei – so ist weiter zu hören – schon vor längerer Zeit geschieden worden. Zuletzt habe die Frau, die selber drei oder vier erwachsene Kinder hat, vorübergehend auch wieder bei ihrer Mutter in der Hindenburgstraße gewohnt.

Die Obduktion des Opfers ist abgeschlossen. Nach dem vorläufigen Ergebnis ist die 85-jährige Frau infolge von Stich- und Schlagverletzungen gestorben. Die Seniorin hat ihr ganzes Leben in der Gartenstadt verbracht. Ihre Eltern hatten das Eckhaus nach dem Ersten Weltkrieg gekauft. Sie selbst und ihr Mann fanden nach ihrer Hochzeit ganz in der Nähe eine Wohnung. Später zog das Ehepaar in das elterliche Haus, wo Hertha H. erst die Mutter und später den Ehemann bis zu dessen frühem Tod pflegte. Nachbarn schildern Hertha H., die schon vor langer Zeit ihr zweites Kind – einen Sohn – verloren hat, als liebenswerte Frau. Von Prob­lemen in der Familie ist ihnen nichts bekannt. „Sie hat immer so von ihren Enkeln geschwärmt“, weiß ein Altersgenosse zu berichten.

Die Polizei hat die Umgebung des Tatorts vorübergehend abgesperrt. Spezialkräfte sicherten inner- und außerhalb des Haues die Spuren. Auch das Auto der 59-Jährigen, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Parkverbot stand, wurde in Augenschein genommen. Nachbarn vermuteten zunächst, dass die Polizei wieder einmal versucht, einen Einbruch aufzuklären. Nur mit einer gewissen Verzögerung verbreitete sich im Quartier wie ein Lauffeuer die Nachricht von der Bluttat.

Erst die Serie von Einbrüchen, bei der Täter auch Sparbüchsen kleiner Kinder stehlen, jetzt ein Tötungsdelikt. Die alte Generation, die ihr ganzes Leben in der Gartenstadt verbracht hat, schüttelt den Kopf über die Veränderungen. „Noch immer handelt es sich um eine ruhige und gute Wohnlage“, meint ein Anwohner. Ab sofort werde aber nichts mehr so sein wie früher. Eine solche Bluttat in der Hindenburgstraße? „Das hat es noch nie gegeben“, sagt er. Dass er Hertha H. nie mehr auf ihren Einkaufswegen sehen wird, übersteigt vorerst sein Vorstellungsvermögen. „Sie wird uns fehlen.“