Kirchheim. Für Ernst Hummel bedeutet der Trachtenverein gleich in zweierlei Hinsicht Heimat. Sein Großvater war einer der bayrischen Gastarbeiter, die den Verein 1912 ins Leben riefen. „Auch meine Mutter und mein Vater waren im Trachtenverein, und ich bin dort quasi groß geworden“, erzählt der Erste Vorsitzende des Vereins. Neben der ganz persönlichen Komponente schätzt Ernst Hummel – ebenso wie die anderen rund 200 Mitglieder –, dass der Verein in der modernen Welt Brauchtum, Folklore und alte Werte erhält. Dazu gehören das Schuhplatteln ebenso wie das Musizieren mit Kuhglocken, das Peitschenschnalzen und die Tracht.
War der Trachtenverein zunächst rein bayrisch geprägt, so begann er in den Sechzigerjahren, sich auch der schwäbischen Folklore zu widmen. Seither können die Mitglieder wählen, ob sie lieber die „Miesbacher Tracht“ – die Gebirgstracht des bayrischen Städtchens Miesbach – tragen möchten oder die Kirchheimer Tracht. „Sie basiert auf der Schäfertracht aus dem 18. Jahrhundert und wurde anhand von alten Materialien rekonstruiert“, erläutert Ernst Hummel.
Was heute beides ganz selbstverständlich unter dem Dach des Trachtenvereins läuft, war in den Sechzigerjahren ein kleines Politikum: Damals – der Verein hieß zu dem Zeitpunkt „Bayern- und Trachtenverein“ – bemühten sich vor allem jüngere Mitglieder um die Einführung der Kirchheimer Tracht. Sie wollten auch das Brauchtum ihrer Wahlheimat pflegen. Konservativere Vereinsmitglieder hatten wenig Verständnis dafür. Dennoch gelang die Einigung. 1964 wurde der Vereinsname in „Trachtenverein Kirchheim“ geändert.
Skeptisch beäugt Ernst Hummel den aktuellen Höhenflug von Dirndl und Lederhose auf dem Volksfest und dem Oktoberfest. Die meisten der in Tracht gekleideten Festgänger wollten jedenfalls mit dem Trachtenverein nichts zu tun haben. „Denen geht es nur um die Gaudi“, sagt er. Beim Trachtenverein hingegen stehe die Brauchtumspflege im Mittelpunkt – und die gehe auch über das Tragen der Tracht hinaus.
Einen großen Teil nehmen traditionelle Tänze ein. Während sich die Gruppe in Kirchheimer Tracht alten schwäbischen Volkstänzen widmet, hat sich die Gebirgstrachtengruppe vor allem auf Schuhplattler spezialisiert. Die Mitglieder der Gebirgstrachtengruppe kennen die verschiedensten Varianten. „Der Schuhplattler war ein Balztanz“, erzählt Hummel und demonstriert eine Zeichnung, die im Vereinsheim an der Wand hängt: Darauf umgarnt ein junger Mann mit Sprüngen, Stampfen und Klatschen ein Mädchen. „Ein Schuhplattler heißt zum Beispiel Auerhahn“, sagt Hummel. Darin werde das Balzverhalten eines Auerhahns nachgeahmt. Ein anderer heiße Holzhacker. In ihm werde tanzend die Geschichte eines Mannes erzählt, der in den Wald geht und Holz hackt. „Alles im Takt“, wie Hummel schmunzelnd hinzufügt.
Dazu kommen die Goislschnalzer, die ihre Peitschen knallen lassen wie einst die Fuhrleute und seit 30 Jahren eine Gruppe innerhalb des Vereins bilden. Bei seinem Stubentheater bringt der Trachtenverein zudem volkstümliche Mundart-Stücke auf die Bühne. Nicht zuletzt gibt es die Glockenspielgruppe. „Die Kinder spielen mit Kuhglocken Melodien“, erläutert Hummel. Die Gruppe ist Teil der erfolgreichen Jugendarbeit des Trachtenvereins, die weit über die Übungsstunden hinausreicht. So gibt es auch gemeinsame Ausflüge oder Bastelaktionen. „Wir haben über 20 Kinder, die Tracht tragen“, freut sich der Vorsitzende. Eher wenige Mitglieder hat der Verein dagegen in der Altersgruppe der 22- bis 35-Jährigen. „Aber viele, die schon als Kinder dabei waren, kommen wieder zurück, wenn sie selbst Kinder haben.“
Viele Mitglieder schätzen die Aktivitäten des Trachtenvereins, seine schöne Vereinsheim-Anlage mit Übungsraum, Gaststätte, großem Garten, Spielgeräten und Zelt. Dort trifft man sich auch zum Schnitzelfest oder zum Maibaumhock.
Das Maibaum-Stellen ist eine weitere Tradition, die die Trachtengruppe in Kirchheim lebendig hält. „Damit wollen wir das Frühjahr begrüßen und die Stadt schmücken“, geht Hummel auf den Brauch ein. Jedes Jahr am 1. Mai stellen die Mitglieder des Vereins den Maibaum auf. „Dieses Jahr war es das 47. Mal“, sagt Ernst Hummel. Ob es ein 48. Mal geben würde, war allerdings lange nicht klar. „Bereits drei Mal musste der Maibaum vorzeitig abgebaut werden“, berichtet Ernst Hummel, der zehn Jahre lang im Gemeinderat der Stadt Kirchheim gesessen hat. Die Gründe dafür seien unterschiedlich gewesen. Zuletzt habe die Stadt wegen des Radrennens auf den Abbau gedrängt – und damit die Empörung der Trachtenvereins-Mitglieder hervorgerufen. „Es dauert allein acht Tage, den Maibaum zu richten“, gibt Ernst Hummel zu bedenken, wie viel Arbeit hinter der Aktion steckt. „Andernorts stehen die Maibäume bis in den Juni hinein – nur in Kirchheim scheint der Baum ein lästiges Übel zu sein“, ärgert er sich. Dennoch: „Wir machen es weiterhin“, sagt der Vorsitzende. Schließlich gehe es dem Verein darum, das Brauchtum zu erhalten.
Darum geht es auch bei den Auftritten des Trachtenvereins, die zum Teil auch in die Ferne führen: „Wir sind schon bei Festen in Österreich, Dänemark, Ungarn, Frankreich und Schweden gewesen“, erinnert sich Ernst Hummel. Bis zu 50 Mitglieder seien bei solchen Ereignissen dabei. Der nächste größere Auftritt allerdings wird in nächster Nähe stattfinden: „Vom 29. bis zum 31. August sind wir in Wendlingen beim Vinzenzifest“, kündigt der Vorsitzende an. „Das ist für uns schließlich ein Pflichtbesuch.“