Kirchheim. Ein paar Minuten reichten, um Julian Draxler deutschlandweit in die Schlagzeilen zu bringen. Im DFB-Pokal-Spiel gegen Nürnberg kurz vor Ende der Verlängerung eingewechselt, gelang dem 17-Jährigen auf Anhieb mit einem fulminanten Linksschuss der Siegtreffer zum 3:2 für seinen Verein, den FC Schalke 04. Gegönnt hat ihm das wohl jeder, der Zeuge dieses Fußball-Märchens geworden ist - von den ganz hartgesottenen Nürnberg-Fans vielleicht einmal abgesehen.
Für Furore sorgte der Jungstar anschließend aber auch außerhalb des Fußballplatzes: durch eine Aussage seines Förderers und Trainers Felix Magath. „Julian braucht kein Abitur“, wird Magath allenthalben zitiert. Schließlich war es dem Trainer bereits gelungen, die Eltern des hoffnungsvollen Talents von dieser Aussage zu überzeugen. Sie hatten zugestimmt, dass der Sohn die Schule abbricht oder zumindest auf unbestimmte Zeit unterbricht, um sich ganz seiner Sportkarriere widmen zu können.
„So was würde ich nie befürworten“, sagt Doris Imrich, die Erste Vorsitzende des VfL Kirchheim. „Für uns steht an erster Stelle die Schule.“ Training und Schule, das könne nur gemeinsam funktionieren. „Das muss man immer mit der Schule abstimmen.“ Dass jemand die Schulart wechselt, wenn er nicht mehr richtig mitkommt, das könne schon passieren, das sei dann auch in Ordnung. „Aber der Schulabschluss muss trotzdem im Vordergrund stehen. Wir sind auch nach der Schule noch behilflich, wenn es um Ausbildungsplätze geht.“
Egal, ob Fußball, Basketball oder irgendeine andere Sportart - die Schule ohne Abschluss aufzugeben, das kommt für Doris Imrich und den VfL nicht infrage. „Wenn der sich verletzt, dann hat er gar nichts. Dann wird er auch von Schalke nicht viel kriegen. Und das finde ich nicht gut“, bezieht sie klar und deutlich Stellung und macht dabei auch auf das entscheidende Problem aufmerksam.
Für Dr. Hans-Dieter Pix, Schulamtsdirektor beim Staatlichen Schulamt Nürtingen, ist das auch das ganz große Problem: „Wer weiß, ob er sich nicht nächsten Samstag oder vielleicht in vier Jahren so verletzt, dass die Karriere zu Ende ist. Dann braucht er einen Schulabschluss.“ Wie die Rechtslage ist, kann Dr. Pix allerdings nur für Baden-Württemberg sagen. „Die allgemeine Schulpflicht ist nach neun Jahren erfüllt. Danach gibt es noch ein Jahr Berufsschulpflicht.“ Wer nach der Schule keine Berufsausbildung macht, sondern lieber jobbt, müsse trotzdem einmal in der Woche in eine „Jungarbeiterklasse“. In Baden-Württemberg müsste Julian Draxler wohl noch ein Jahr lang in eine solche Klasse gehen, auch wenn er das Gymnasium jetzt in der elften Klasse verlassen hat. Ob das so auch in Nordrhein-Westfalen gelte, konnte Hans-Dieter Pix nicht sagen: „Das kann auch von Bundesland zu Bundesland verschieden sein.“
Werner Schmid, Sportbeauftragter beim Staatlichen Schulamt, weist ebenfalls auf die Verletzungsgefahr im Profisport hin: „Da kann die Karriere ganz schnell zu Ende sein. Und dann ist es gut, wenn man ein weiteres Standbein hat.“ Das Abitur oder die Fachhochschulreife würden in einem solchen Fall ganz andere Möglichkeiten eröffnen als ein Schulabbruch ohne Abschluss. Für Werner Schmid hat der Schalke-Trainer egoistisch gehandelt, denn „beim Profisport zählt nur der Erfolg“. Der 17-Jährige selbst sei da ziemlich egal.
Werner Schmid hat deshalb Hochachtung vor solchen Vereinen, die auch auf die Schulausbildung ihrer jungen Spieler Wert legen. Schule und Sport ließen sich durchaus miteinander vereinbaren - „in enger Absprache mit der Schule“. Der versäumte Unterricht müsse nachgeholt werden, auch mit der Unterstützung von Nachhilfelehrern, und dazu müsse der Verein die Möglichkeiten schaffen. „Aber“, so fügt der Sportbeauftragte hinzu, „da muss beim Verein schon der gute Wille vorhanden sein.“ Von Felix Magath habe er bisher viel gehalten, sagt Werner Schmid, aber diese Haltung zum Thema Schule und Profifußball könne er nicht nachvollziehen.
Der kommissarische Schulleiter des Ludwig-Uhland-Gymnasiums, Dr. Frank Hugelmann, hält grundsätzlich auch große Stücke auf Felix Magath: „Er hat sich schon große Verdienste erworben, indem er darauf hingewiesen hat, dass Übung und Training wichtiger sind als Werbetermine.“ Möglicherweise sei die Äußerung über das Abitur in diesem Zusammenhang zu sehen.
Trotzdem sagt Frank Hugelmann: „Ich war schon sehr überrascht, dass Felix Magath diesem jungen Menschen empfiehlt, das Abitur sausen zu lassen.“ Immerhin sei Julian Draxler bereits in der elften Klasse gewesen, und immerhin habe Schalke am Beispiel von Benedikt Höwedes ja auch schon vorgemacht, dass man junge Spieler bei der Doppelbelastung mit Profifußball und Abiturvorbereitung erfolgreich unterstützen kann.
Wenn es denn tatsächlich durch Verletzungen oder aus anderen Gründen zum Karriereknick komme, dann sei es nach drei oder vier Jahren wohl ausgesprochen schwierig, in die Schule zurückzukehren. Deshalb plädiert Frank Hugelmann generell für eine entsprechende Absicherung junger Menschen. Und das gilt beileibe nicht nur für Sportler. Es sei in jedem Fall ratsam, zur Sicherheit einen Bildungsabschluss oder eine Berufsausbildung in der Hinterhand zu haben.