Kreis Esslingen/Berlin. Seit 2009 studiert Bastian Weber aus Oberlenningen in Potsdam Politikwissenschaft und wohnt in Berlin-Schöneberg. „Ich fühle mich immer noch sehr schwäbisch“, sagt der 23-Jährige schmunzelnd, der seinen schwäbischen Dialekt auch nicht versteckt. „Aber ich muss für ihn immer mal wieder Hohn einstecken.“ Doch die meisten würden es nicht böse meinen. Vielmehr würden sie seinen Dialekt „ganz süß“ finden.
Die Äußerungen von Thierse hält der Student für ziemlich überflüssig. „Hat der nichts Besseres zu tun?“, fragt der 23-Jährige, der sich ansonsten aber noch nie in Berlin diskriminiert gefühlt habe. Auch eine kuriose Erfahrung an einem Discoabend sieht er gelassen. „Am Eingang musste ich meinen Ausweis zeigen.“ Der Türsteher habe auf die Adresse geschaut und rot gesehen: „Eine Siebener-Postleitzahl!“ Bastian Weber konnte ihn schließlich doch noch davon überzeugen, dass es nicht schlimm sei, einem Schwaben Einlass zu gewähren.
Der 23-Jährige kennt in Berlin viele sogenannte schwäbische Bäckereien und auch einen Spätzlesimbiss. „Aber die Spätzle sind aus der Packung. Und in den Bäckereien habe ich noch nie jemanden getroffen, der schwäbisch redet.“ Einen guten Bäcker in Berlin zu finden, sei im Übrigen sehr schwierig. Die Wecken, pardon Schrippen, würden dort lange nicht so gut schmecken „wie bei uns“.
Bastian Weber weiß außerdem von Anti-Schwaben-Demos und Plakaten mit der Aufschrift „Schwaben raus“ zu berichten. „Das Wort Schwabe wird dabei als Synonym verwendet für alle, die nach Berlin ziehen und dort Wohnraum kaufen und sanieren.“
Auch Renate Krepper, die seit 1973 mit ihrem Mann in Berlin lebt, dort an einer Privatschule Deutsch-Kurse gibt und ursprünglich aus Bissingen kommt, glaubt, dass „es in der ganzen Diskussion mehr um den Konflikt zwischen Arm und Reich geht“. „Die Leute, die Hass predigen, können die Schwaben von den Bayern und Österreichern doch gar nicht unterscheiden.“ Über die Äußerungen von Thierse kann sie „einfach nur lachen“. Berlin sei eine Stadt der Vielfalt. „Wir leben hier mit so vielen Nationen und Kulturen zusammen. Aber jetzt hat man sich halt auf die Schwaben eingeschossen“, bedauert die 61-Jährige, die selbst in Berlin aber noch nie gemobbt worden sei.
Lisa Zimmermann aus Lindorf, die seit zweieinhalb Jahren in Berlin Kommunikationsdesign studiert und im Ortsteil Moabit wohnt, hat indes andere Erfahrungen gemacht: Auf einer Party sei sie „relativ unhöflich“ aus einer Unterhaltung ausgeschlossen worden, nachdem ihre Gesprächspartner erfahren hatten, dass sie aus dem Ländle stammt. „Daraufhin habe ich die Party verlassen. Das war schon gruselig“, sagt die 22-Jährige. Auch „blöde Sprüche“ und Anspielungen auf typisch Schwäbisches wie die Kehrwoche müsse sie immer wieder über sich ergehen lassen. Zu Beginn sei das schwierig für sie gewesen, doch mittlerweile hat die junge Frau gelernt, damit umzugehen. „Ich bin stolz darauf und stehe dazu, wo ich herkomme.“
Dass sich Stadtteile verändern, sei im Übrigen normal und liege nicht alleine an den Schwaben, gibt Lisa Zimmermann zu bedenken. Sie findet es schade, dass sich der Schwabenhass in Berlin derart entwickelt habe. Sie glaubt, dass Schwaben auch bei der Jobsuche in Berlin diskriminiert werden. „Da kann es schon passieren, dass die eine oder andere Tür verschlossen bleibt.“
Auch Thomas Niechoj aus Lindorf, der selbstständig in der Medienbranche tätig ist und immer wieder für einige Monate im Stadtteil Prenzlauer Berg wohnt, fühlt sich dort „teilweise diskriminiert“. Manchmal werde er mit Vorurteilen wie „Schwaben sind geizig“ konfrontiert, dann wieder ob seiner Herkunft einfach nur „blöd angeguckt“. Er hat sich angewöhnt, sich einem Berliner gegenüber „nicht sofort zu outen“. In Gesprächen versucht der 28-Jährige, zuerst das Vertrauen seines Gegenübers zu gewinnen. Ist das erreicht, brauche er keinen Hehl mehr daraus zu machen, wo er herkommt. Die meisten Berliner seien offen und umgänglich, wenn sie merken, dass die Schwaben ja doch keine so üblen Menschen sind.
Beim Schlendern durch „seinen“ Stadtteil hat Thomas Niechoj auch so manche recht amüsante Entdeckung gemacht: zum Beispiel ein Schild, auf dem die Aufschrift „Prenzlauer Berg“ mit „Schwabylon“ überklebt wurde. Lustig findet er auch die Straßenbahn, die zu dem Stadtteil führt und „Schwabenexpress“ genannt werde.
Der 28-Jährige sieht aber auch manche Schwaben in der Pflicht, die den Schwabenhass in Berlin durch „hochnäsiges Auftreten“ befeuert hätten. Im Großen und Ganzen fährt er aber dennoch immer wieder gerne in die Hauptstadt. „Ich habe dort viele Freunde, denen es schnuppe ist, dass ich aus Süddeutschland komme.“
Das kann Christian Rothas aus Kirchheim bestätigen: Seine Berliner Freunde würden die Schwaben alle super finden. Der 21-Jährige, der am Potsdamer Platz in Berlin-Mitte wohnt und als DJ in Clubs auflegt, muss zwar ab und an mit Aussagen wie „Wegen euch kriegen die Berliner keine Wohnungen mehr“ leben. Dennoch fühlt er sich nicht gemobbt, betont er – im Gegenteil: „Wenn die Berliner merken, dass sie einen Schwaben vor sich haben, lockert das in 99 Prozent der Fälle die Situation auf.“
Für Thierses Äußerungen bringt Christian Rothas aber auch Verständnis auf. „Es ist eine Frage von Respekt, alte Berliner Werte und Traditionen aufrechtzuerhalten“, gibt er zu bedenken. „Allerdings sollte man das auch nicht zu sehr dramatisieren. Die Frage, ob man beim Bäcker ein Gebäck Weckle oder Schrippe nennt, ist nicht von hoher Priorität.“