Kreis Esslingen. Der deutliche Bevölkerungszuwachs im vergangenen Jahr hat auch Werner Brachat-Schwarz überrascht. „So hätte ich das nicht erwartet“, gesteht der Experte vom Statistischen Landesamt. Eigentlich rechnen die Statistiker nämlich landesweit – zumindest mittelfristig – mit einem Bevölkerungsrückgang. Denn 35 von 44 Stadt- und Landkreisen in Baden-Württemberg verzeichnen mittlerweile ein Geburtendefizit. Erstmals zählte im vergangenen Jahr auch der Kreis Esslingen dazu: 4 366 Geburten standen hier 4 474 Todesfälle gegenüber.
Dass unter dem Strich trotzdem ein deutliches Plus steht, verdankt der Landkreis der hohen Zuwanderung: Laut Statistik sind 2011 zwar 20 215 Personen aus dem Landkreis weggezogen, dafür kamen jedoch 22 708 neue hinzu. Hauptgrund für die Zuzüge war die gute wirtschaftliche Situation: „Die Menschen kommen in erster Linie wegen der Arbeitsplätze“, weiß Brachat-Schwarz. Und von denen gab es im Kreis Esslingen zuletzt mehr als anderswo.
Rund zwei Drittel der Zuwanderer kommen aus dem Ausland. Dabei spielten auch die wirtschaftlichen Probleme in Ländern wie Griechenland oder Spanien eine entscheidende Rolle, sagt der Statistiker. Zudem steht der deutsche Arbeitsmarkt seit Mai 2011 auch Menschen aus acht osteuropäischen Ländern offen, die 2004 der EU beigetreten waren. Der Zuzug aus anderen Bundesländern, etwa aus Ostdeutschland, spielte im vergangenen Jahr hingegen keine Rolle mehr.
Die Bevölkerungsentwicklung fällt innerhalb des Landkreises unterschiedlich aus: Immerhin 19 der 44 Kommunen im Kreis mussten 2011 Verluste hinnehmen. Auffällig ist, dass alle größeren Städte zu den Gewinnern zählen. Diesen Trend beobachtet das Statistische Landesamt schon seit etlichen Jahren. „In den 80er- und 90er-Jahren sind vor allem Familien aufs flache Land gezogen, heute registrieren wir gerade bei jungen Erwachsenen einen starken Zuzug in die Städte“, sagt Werner Brachat-Schwarz.
Kleinere Gemeinden sind vor allem dann gefragt, wenn sie verkehrsgünstig liegen und über eine gute Infrastruktur verfügen. Die Einkaufssituation sei dabei ebenso entscheidend wie die Kinderbetreuung oder eine Schule am Ort. Ein Blick auf die Gewinner und Verlierer im Kreis bestätigt diese Einschätzung. Verluste mussten vor allem Kommunen aus den Randbereichen hinnehmen. Wie zum Beispiel Erkenbrechtsweiler, das 2011 im Verhältnis zur Einwohnerzahl den größten Rückgang verzeichnete (minus 2,2 Prozent). Für die kleine Gemeinde sei es nicht leicht, Leute von auswärts anzulocken, sagt Bürgermeister Roman Weiß. Mit günstigem Bauland und Investitionen in die Kinderbetreuung versucht das 2 000-Seelen-Dorf, den Einwohnerschwund zu stoppen.
Den prozentual höchsten Zugewinn verzeichnen Neckartenzlingen (2,7 Prozent) und Deizisau (2,1 Prozent). In Deizisau wurde der Zuwachs sogar ohne ein größeres Baugebiet erzielt. Allerdings sind unter anderem durch den Umzug von zwei Kindergärten Bauplätze im Ort freigeworden. „Die waren ratzfatz weg“, berichtet Hauptamtsleiter Michael Falb. Die große Nachfrage erklärt er sich mit der guten Verkehrsanbindung für Pendler, doch auch das Jobangebot vor Ort sei mit 2 700 Arbeitsplätzen überdurchschnittlich hoch.