Ab 2013 entscheiden Eltern darüber, wo ihr behindertes Kind zur Schule geht
Sonderschulpflicht fällt weg

Kinder mit Behinderungen sollen künftig bessere Chancen haben, eine Regelschule zu besuchen. So sieht es die UN-Charta unter dem Stichwort Inklusion vor. Im Schulamtsbezirk Nürtingen bereitet man sich darauf vor, die Vorgaben des Landes in die Praxis umzusetzen.

Sonderschulpflicht fällt weg
Sonderschulpflicht fällt weg

Nürtingen. Eines ist für Dr. Günter Klein heute schon klar. „Die Vielfalt an den Schulen wird größer“, sagt der leitende Schulamtsdirektor mit Blick auf die UN-Charta, deren Verfasser den Staaten dieser Welt mehr Chancen für behinderte Menschen ins Hausaufgabenheft geschrieben haben. Für den Bildungsbereich bedeutet das konkret:

Das Land Baden-Württemberg muss dafür Sorge tragen, dass mehr behinderte Kinder als bisher an Regelschulen unterrichtet werden können. Ab 2013 wird die Sonderschulpflicht aufgehoben. Dann ist der Weg für gemeinsames Lernen theoretisch frei.

Behinderte und nicht behinderte Kinder in einem Klassenzimmer, das gibt es im Schulamtsbezirk schon heute, und zwar in sogenannten Außenklassen (siehe Infokasten). Ein Drittel der Lehrerressourcen im Sonderschulbereich würde in Regelschulen eingesetzt, so Günter Klein. „Das ist allerdings noch kein inklusiver Unterricht.“ Ziel sei es, künftig Klassen zu haben, in denen Kinder mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Bildungszielen gemeinsam unterrichtet werden könnten. Das sei momentan noch nicht möglich. Behinderte und nicht behinderte Kinder würden zwar schon heute gemeinsam unterrichtet. „Aber dann muss das behinderte Kind beispielsweise in der Lage sein, dem normalen Grundschulunterricht zu folgen.“

Günter Klein betont jedoch: „Einen Zwang zu Inklusion wird es nicht geben.“ Kinder mit Behinderungen würden also keinesfalls verpflichtet, Regelschulen zu besuchen. Ihre Eltern könnten weiterhin entscheiden, sie an einer Sonderschule unterrichten zu lassen, die es natürlich weiterhin geben werde. Aber: Anders als bisher räumt das Schulgesetz Eltern ab 2013 ein Wahlrecht ein – wenn auch kein grenzenloses. Das Schulamt zeigt ihnen in einer sogenannten Bildungswegekonferenz mindestens zwei Möglichkeiten auf, zwischen denen sie sich entscheiden können. Wie viele Eltern ihre Kinder künftig in Regelschulen unterrichten lassen wollen, vermag Günter Klein nicht zu sagen. Ulrich Mathes, Schulleiter der Rohräckerschule für geistig Behinderte, weiß jedoch aus eigener Erfahrung, dass das Interesse der Eltern an integrativer Bildung gar nicht so groß ist.

Bei der Personalausstattung stößt das Konzept an weitere Grenzen. Laut Günter Klein wird es für den gemeinsamen Unterricht keine zusätzlichen Lehrerstellen geben – auch angesichts des Schülerrückgangs, der in den nächsten Jahren zu erwarten ist. Das ist ein Grund, wa­rum es aus Sicht des leitenden Schulamtsdirektors unrealistisch ist, eine Ausstattung aller Schulen mit inklusiven Bildungsangeboten zu versprechen. „Totale Wohnortnähe wird es nicht geben.“ Ziel sei es, Gruppenangebote an einzelnen Schulen zu schaffen. „An jeder Schule soll es aber einen Ansprechpartner für Kinder mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen geben, sodass Eltern nicht lange suchen müssen“, sagt Günter Klein.

Derzeit läuft in den Regionen Stuttgart, Mannheim, Freiburg, Kons­tanz und Biberach ein Schulversuch, der zeigen soll, welche gesetzlichen Änderungen für den inklusiven Unterricht notwendig sind. Erst ab dem Schuljahr 2013/14 wird die Sonderschulpflicht aufgehoben. Bis dahin haben Günter Klein und seine Mitarbeiter Zeit, Eltern und Lehrer darüber aufzuklären, wie Unterricht vonstatten gehen soll in der inklusiven neuen Welt.