Wendlingen. Abgefallen war die Anspannung der vergangenen Wochen, die letzten Vorbereitungen erledigt, in freudiger Erwartung auf das bevorstehende Fest, das am späten Samstagnachmittag losging. Wendlingen war gerüstet. Die Mitarbeiter der Stadtverwaltung und des Bauhofs, die Vereine mit den Partnerschaftskomitees, sie alle zogen an einem Strang, dem Vinzenzifest.
Erstmals seit zwei Jahren hatte die Stadt Wendlingen wieder einen Empfang anlässlich des Vinzenzifests gegeben. Das sei eine Gelegenheit, dem Fest einen „ etwas anderen, noch stärker auf Europa ausgerichteten Aspekt zu seiner langen Tradition hinzuzufügen“, sagte Wendlingens Bürgermeister Weigel. Ursprünglich als Erntedankfest gegründet, später zum Trachten- und Brauchtumsfest erweitert, und vor wenigen Jahren um die Facette der tatkräftigen Unterstützung der örtlichen Vereine ergänzt, hat das Fest in diesem Jahr mit dem Fokus auf die europäische Integration eine weitere Dimension dazu bekommen.
„Europa – Denkpause am Scheideweg“ lautete so auch der Titel der Vinzenzirede von Rainer Wieland, Vizepräsident des Europäischen Parlaments. „Wo, wenn nicht hier, und wer, wenn nicht wir, sollen – über die tagespolitische Krise hinaus – über Europa sprechen?!“, so Wieland beim Empfang der Stadt. Das Erreichte in Europa dürfe nicht zum Selbstverständnis werden, denn nach wie vor gebe es Ressentiments unter den Völkern. Statt zu verzweifeln, gelte es, sich an bedeutende Leistungen wie die Rede von Charles de Gaulle in Ludwigsburg vor 50 Jahren zu erinnern. Diese Rede sei die Grundlage für das 1963 entstandene deutsch-französische Jugendwerk gewesen und der Beginn von Partnerschaften unter den ehemaligen Erzrivalen Deutschland und Frankreich.
Wieland rief in seiner Rede zu mehr Selbstkritik und Besonnenheit sowie einem sorgsameren Umgang mit dem Thema Europa und Griechenland auf. „Wir müssen mit einer Zunge sprechen – Europa, Deutschland und die Bundesländer, und wir müssen uns in die Lage der anderen besser hineinversetzen.“ Jedes Land in Europa habe seinen Platz auf der Landkarte und im Geschichtsbuch. Danach gelte es zu handeln. Besonders wenn es um die Hilfe für Griechenland gehe. Wieland: „Solidarität hat eine Zwillingsschwester, nämlich die Solidität“. Wenn ernsthafte Umsetzungsbemühungen Griechenlands vorhanden seien, dann komme es auf einige Jahre mehr nicht an.
Auch Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel erinnerte an den in letzter Zeit immer wieder vergessenen Kern der europäischen Integration: Das, was Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht habe, habe es nur auf der Basis von Frieden und Freiheit erreichen können, so Weigel. Wendlingens Bürgermeister bezeichnete das Vinzenzifest als „ein politisches“ und als ein „Fest der Versöhnung“. Damit habe die Veranstaltung seit ihrer ersten Ausrichtung in Wendlingen vor über 60 Jahren schon immer an das Leid und Unrecht der Heimatvertriebenen erinnert, genauso wie an den Frieden, den die Vertriebenen mit der politischen Situation gemacht hätten, was mit der Charta der Vertriebenen 1950 unterzeichnet worden sei.
Landrat Heinz Eininger sah im Wendlinger Vinzenzifest eine Parallele zur europäischen Integration. Durch das Engagement der Vereine, Partnerkomitees und Egerländer sei „Ein Fest der Begegnung und Kultur das Heimat- und Trachtenfest zu einem Fest der Wendlinger geworden. „Es ist ein Fest der Begegnung und Kultur, ein Zeichen lebendiger Gemeinschaft.“ Heute sei Friede und Wohlstand schon eine Selbstverständlichkeit geworden, so der Landrat weiter, doch es gelte, sich immer wieder daran zu erinnern, was dazu beigetragen habe. „Europa braucht uns, und wir Europa mehr denn je“, mahnte Eininger. „Wir habe nur gemeinsam als Europäer eine Chance.“ Trotz Finanzkrise und Schulden dürfe man die Ideale nicht vergessen, die die Egerländer vorgelebt hätten. „Die Egerländer können ein Beispiel für uns sein“, so Eininger, Tradition zu bewahren, gleichzeitig zu Versöhnung beizutragen und sich in der neuen Heimat zu engagieren.
Tags zuvor hatte Bürgermeister Steffen Weigel vor dem Rathaus bei der Eröffnung des 61. Vinzenzifests Gäste von nah und fern begrüßen können. Besonders freute er sich über den Bürgermeister von Eger (Cheb), Michal Pospisil, der mit Stadtdirektor Vaclav Sykora zum Fest angereist war.
Horst Rödl, Vorsteher der Gmoi Wendlingen, führte routiniert durchs Programm und bedankte sich beim Bürgermeister für die Unterstützung und die „neuen Ideen“, die er eingebracht habe.
Harald Wenig, Landesvorsteher des Landesverbands der Egerländer Gmoi, eröffnete anschließend das 38. Egerländer Landestreffen und die Ausstellung mit Plakaten und Grafiken des Künstlers Hans A. Kuttner. Die Tanzgruppe der Egerländer Gmoi Wendlingen, die Jugendtanzgruppe der Banater Schwaben, der Trachtenverein Kirchheim und die Gaugruppe des Südwestdeutschen Gauverbands der Heimat- und Trachtenvereine umrahmten mit traditionellen Tänzen und Schuhplattler das Programm. Es spielten D’LauterBläser, die auch später die Gäste weiter unterhielten. Am Abend rockten „The Gents“ auf dem Marktplatz, was das Zeug hielt.
Der Sonntag wurde eingeläutet durch die Vinzenziprozession und die anschließend gut besuchte Eucharistiefeier auf dem Marktplatz, die von Dekan Paul Magino, Vikar Wolfgang Metz und Pfarrer i.R. Wolfgang Gottstein zelebriert wurde. Der Weg des Lebens, den jeder für sich geht, stand im Mittelpunkt der Feier.