Kirchheim. Ist Religion heute noch zeitgemäß? Kann es Jugendlichen Orientierung bieten? Fragen, die den Kreisjugendring (KJR) veranlasst haben, eine Reise durch fünf Religionen zu veranstalten. Finanziert wurde der Abend von der BW-Stiftung. Schüler, Eltern und andere Interessierte waren eingeladen, in der Kirchheimer Stadthalle Vertreter von Judentum, Islam, Christentum, Hinduismus und Buddhismus mit Fragen zu löchern und so über den Tellerrand ihres eigenen Glaubens hinauszuschauen. Schon allein die Tatsache, dass es in Kirchheim einen hinduistischen Tempel und ein tibetisch-buddhistisches Zentrum gibt, dürfte vielen Besuchern neu gewesen sein.
Religion erlebbar machen, das war den Machern von KJR und Mehrgenerationenhaus Linde, Frank Baumeister und Anja Hezinger, erkennbar wichtig. Trockene Vorträge zu später Abendstunde gab es keine, dafür Vespertütchen mit trockenem Gebäck, das in den Kulturkreisen der fünf Religionen typisch ist. Ein „interreligiöses Fotoalbum“ bot den Schülern einen Eindruck, wie es in einer Synagoge, einer katholischen oder evangelischen Kirche, dem hinduistischen Tempel, der Moschee und einem buddhistischen Tempel aussieht. Und sie erfuhren, dass Ohrenstöpsel manchmal helfen könnten, um gute religiöse Nachbarschaft aufrechtzuerhalten. „Oft sitzen wir da und versuchen zu meditieren und uns auf unseren Atem zu konzentrieren, während unsere hinduistischen Nachbarn nebenan Rambazamba machen“, erzählte schmunzelnd Beate Jocham vom tibetisch-buddhistischen Zentrum, das direkt neben dem hinduistischen Tempel ist. Das sei eine echte Herausforderung. Vethiga Srikanthan, die den hinduistischen Tempel besucht, musste ihr recht geben: „Ja, wir sind sehr bunt und sehr laut“, sagte sie lachend.
Bei der Reise durch die Religionen ging es zu wie beim Speed-Dating. Nur zwanzig Minuten Zeit hatten die „Reisegruppen“, um an den Stationen in die Religionen der anderen hineinzuschnuppern. Zu wenig Zeit, um das fremde Gegenüber in all seinen Facetten kennenzulernen. Aber anders als beim Speed-Dating war ja auch kein Partnerwechsel geplant. Yakub Kambir von der Sultan Ahmet Moschee in Kirchheim nahm die Jugendlichen mit auf eine Reise durch seine Religion. „Was für Begriffe fallen euch ein, wenn ihr an den Islam denkt?“, wollte er von den Schülern wissen. Die hatten eine ganze Menge Assoziationen: von Koran über Ramadan und Mekka bis zu Dschihad und Islamischer Staat (IS). „Gut, dass auch kritische Begriffe gefallen sind. Es gibt immer ein Selbstbild und ein Fremdbild“, sagte Yakub Kambir. Wenn man Muslime selbst frage, kämen Begriffe wie: Nächstenliebe, Frieden, Verzeihen können, Barmherzigkeit, Liebe, Wissenschaft, Gleichheit. Kambir erläuterte die fünf Säulen des Islam: das Gebet, das Glaubensbekenntnis, das Fasten, die Pilgerfahrt und das Almosen. Dann tutete schon die Vuvuzela, das Zeichen für die Weiterfahrt zur nächsten Station. Was der Dschihad und der IS mit Islam zu tun haben, blieb deshalb leider unkommentiert.
Bevor die Reisegruppen weiterzogen, gab es kurze Pausen, in denen Musik aus den unterschiedlichen Religionen gespielt wurde. Um zu verdeutlichen, was die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens ist, setzte Jochen Leitner auf einen recht dramatischen Film aus den USA, der die Versuchung des Menschen darstellte. „Im Christentum geht es darum, dass Jesus für unsere Sünden gestorben ist“, sagte Leitner. Der Film zeige, wie Christus dagegen ankämpfe, ein Mädchen an finstere Mächte wie Geld oder Macht zu verlieren. Wichtig war Jochen Leitner aber: „Christus zwingt niemanden, an ihn zu glauben. Die Freiheit hat in der christlichen Religion eine große Bedeutung.“ Bevor die Vuvuzela erneut zum Aufbruch tutete, wollte Leitner von der Reisegruppe wissen: „Wenn Gott ein Selfie machen würde, was wäre drauf?“ Die Antwort gab er selbst: „Jesus. Denn in Jesus zeigt Gott sich ganz.“
Dass es im Buddhismus keinen Gott gibt, der über allem steht, erfuhren die Teilnehmer von Ani Semchi, einer buddhistischen Nonne, die ursprünglich aus Notzingen kommt. „Jeder Mensch kann dieses göttliche Wesen sein“, erklärte sie. Durch Meditation versuche man, bestimmte göttliche Eigenschaften in sich selbst zu erzeugen. Gebote gebe es jedoch auch in ihrer Religion: Buddhisten sollen nicht stehlen, nicht lügen, sich den Geist nicht durch Alkohol oder Lügen vernebeln lassen und kein sexuelles Fehlverhalten zeigen.
Warum Männer und Frauen in orthodoxen Synagogen räumlich voneinander getrennt sind, erklärte Michael Kerzhner. „Das wird gemacht, weil man davon ausgeht, dass Männer und Frauen auf andere Gedanken kommen, als zu beten, wenn sie in einem Raum sind“, sagte er schmunzelnd.
Von Vethiga Srikanthan erfuhr die Reisegruppe, was es mit den Punkten auf sich hat, die Hindus auf der Stirn tragen. Ursprünglich hätten sich nur verheiratete Frauen einen Punkt aus rotem Pulver aufgemalt, erzählte sie. „Aber inzwischen ist es Mode, sich einfach irgendeinen Punkt aufzumalen, der zur Kleidung passt. Die Punkte haben also nichts zu sagen“, so Vethiga Srikanthan lachend. Den schwarzen Punkt auf der Stirn und ihren lila Sari trug die junge Frau auch nur aus Anlass der Veranstaltung. „Privat trage ich so etwas nicht, da laufe ich so herum wie ihr“, sagte Vethiga Srikanthan.