Wohl selten hat ein Auswärtssieg mehr Freude bereitet. Schon deshalb, weil sich am Sonntag ein paar Fans mehr als sonst üblich auf den Weg ins 40 Kilometer entfernte Tübingen machten. Früher war die Paul-Horn-Arena am Neckar ein Platz, um Erstliga-Basketball zu bestaunen. Kurz vor Saisonbeginn im September war es ein Ort, an dem eine neu formierte Kirchheimer Mannschaft noch Lehrgeld bezahlte. Und jetzt? Am Sonntag zeigten die Knights dem Erstliga-Absteiger in jeder Hinsicht die Grenzen auf.
Ein schwarzer Tag aus Sicht der Tübinger, die bei ihrem Erfolg zuvor in Trier einen 20-Punkte-Rückstand gedreht und damit eigentlich alles getan hatten, um mental gestärkt ins Duell mit dem vermeintlich kleinen Nachbarn zu gehen. Doch die Kirchheimer bewiesen, dass die Statistik zwar nicht alles sagt, aber selten lügt. Die Knights sind das abwehrstärkste Team der Liga. Keine Mannschaft kassierte bisher weniger Punkte als die Ritter. Für Defensiv-Stratege Mauricio Parra, mehrere Jahre lang Assistant-Coach in Tübingen, war es eine triumphale Rückkehr an seinen einstigen Arbeitsplatz. Das taktische Konzept des Spaniers ging auch beim fünften Sieg in Folge restlos auf. Jede Mannschaft ist bekanntlich nur so gut, wie die andere Seite es zulässt. Knights-Sportchef Christoph Schmidt dachte am Tag nach dem 76:54-Erfolg deshalb erst gar nicht daran, den Gegner schwach zu reden. „Tübingen hat aus meiner Sicht nicht schlecht gespielt“, meint Schmidt. „Zu sehen, wie unsere Mannschaft verteidigt, macht im Moment einfach wahnsinnig Spaß.“
Ein Spaß, den andere wohl kaum geteilt haben dürften: Tübingens starkes Guard-Duo Donald Timmer und Tyler Laser, mit 16 und 15 Punkten im Schnitt offensiv bisher eine Bank, waren so gut wie abgemeldet. Laser brauchte 19 Minuten ehe er per Dreier seine ersten Punkte im Spiel verbuchen konnte. Mehr als vereinzelte Verzweiflungswürfe ließ die Kirchheimer Defensive bis dahin nicht zu. Verzweiflung war das passende Wort auch unterm Korb: Die beiden erfahrenen Center Enosch Wolf und Robertas Grabauskas standen gegen Kronhardt, Rendleman und Canty über weite Strecken auf verlorenem Posten. Vor allem Canty dürfte die Partie einiges an Selbstvertrauen verschafft haben. Dreimal in Folge räumte der Amerikaner in der ersten Hälfte 2,15-Meter-Mann Enosch Wolf per Block sauber ab. Die Knights als Spielverderber im besten Sinne.
Die größte Gefahr am Sonntag: zu vergessen, dass mit Koch und Wenzel zwei deutsche Spitzenkräfte auf Kirchheimer Seite nur Zuschauer waren. Das Gute daran: Die beiden Verletzten scheinen ihre Kräfte aufs verbleibende Personal zu übertragen. Kevin Wohlrath und Phillip Daubner hatten nicht zum ersten Mal einen Extra-Energieriegel im Gepäck.
Dass Koch und Wenzel kaum vermisst wurden, ändert freilich nichts am Plan. Die Knights sind weiter auf der Suche nach einem flexiblen Deutschen für die Positionen drei und zwei. „Mister Perfect“ zu finden, ist bei laufender Saison allerdings ein Kunststück. „Die Mannschaft harmoniert im Moment prächtig“, sagt Christoph Schmidt. „Wir müssen deshalb ganz genau hinschauen, wer zu uns passt.“ Einer, der schon aufgrund seiner Biografie ins Raster passen würde, ist zurzeit nicht zu haben: Besnik Bekteshi, Kirchheimer mit VfL-Vergangenheit, steckte am Sonntag, wie schon so oft, im Trikot des Gegners.
Für Mauricio Parra und die Knights heißt es nun, auf der Hut sein. Morgen in Nürnberg und am Samstag in Ehingen warten zwei Gegner, die vor der Saison als mögliche Abstiegskandidaten gehandelt wurden. Jetzt stehen beide im gesicherten Mittelfeld. Ehingen überraschte zuletzt mit deutlichen Erfolgen in Baunach und zu Hause gegen Hanau. Die Nürnberger haben, obwohl erst sechs von zehn Partien gespielt, bereits vier Siege auf dem Konto. Zwei echte Härtetests also für die Knights, die ihren Marktwert inzwischen merklich gesteigert haben und damit bestätigen, was ihr Trainer schon vor Wochen verkündet hat: „Wir werden unseren besten Basketball vermutlich nicht vor Weihnachten zeigen.“ Dass die Fans auf diesen Trend vertrauen, zeigt sich auch an anderer Stelle: Für das Spiel des Jahres am 1. Dezember in der Stuttgarter Scharrena gegen Heidelberg sind inzwischen mehr als die Hälfte der 2 250 Tickets verkauft.