Lokale Kultur

„Als das Regime befahl. . .“

Ausstellungseröffnung von Klaus Zwicks „verbrannt, verboten, verfolgt“ mit Lesung im Kornhaus

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Ausstellung, Verbrannt,verboten,verfolgtAusstellungseršffnung umrahmt durch Rolf-RŸdiger Mostam Saxophon, im Hintergrund das Herbarium oder deutsche KalenderblŠtter

Kirchheim. „Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 war ein symbolischer Akt der Nazis“, führte Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker aus. Die Verfolgung „antideutschen“ Schrifttums habe Schriftsteller in die innere Emigration, ins Exil

oder gar in den Freitod getrieben. Der Öffentlichkeit war die Brisanz dieses symbolischen Aktes nicht bewusst. Das beweist schon ein Bericht des Teckboten vom 10. Mai 1933, den Matt-Heidecker zitierte. Ganz sachlich wird von diesem Vorgang berichtet. Das Aufregende dabei ist heute, dass sich niemand darüber aufregte, welches Barbarentum sich in der geistigen Welt breit machte. Für die Oberbürgermeisterin ist die Erinnerung an die Bücherverbrennung ein persönliches Anliegen.

Der gastgebende Literaturbeirat hat zum diesjährigen Gedenken nicht nur zu einer Lesung eingeladen, ­sondern auch den bildenden Künstler Klaus Zwick. Wenn man sich an ­Adornos Dictum, dass nach Auschwitz kein Gedicht mehr möglich sei, erinnert, konnte man gespannt sein, wie Klaus Zwick entsetzliche Ereignisse ästhetisch bannt. Friederike Gölz, Professorin für Kunsttherapie mit Kirchheimer Wurzeln, erläuterte das Werk ihres Ehemannes, der in Bremen als freier Künstler lebt.

Die Ausstellung „verbannt, verboten, verfolgt“ besteht aus vier Objekten. Als Motto für seine künstlerische Arbeit zitiert Zwick Vincent van Gogh: „Bücher, Wirklichkeit und Kunst ist für mich alles dasselbe“. Deshalb gibt es auch in den Techniken keine Spezialisierung. In der Kirchheimer Ausstellung sind es Wandinstallationen und Arbeiten auf Papier. So vielfältig die Materialien sind, so stringent ist die konzeptionelle Formensprache: Klarheit und Reduziertheit. Dass sich der Künstler mit dem Schicksal von Schriftstellern in der Nazizeit beschäftigt, entspringt seiner Auffassung, dass Geschichte prozesshaft, nie abgeschlossen ist gemäß William Faulkners Feststellung „Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen“.

Das erste Objekt „Namen“, das die Bücherverbrennung visualisiert, bietet schwarze Flächen in DIN-A4-Format, dem Format von Schreibenden, in weiße Wand eingelassen. Bei näherem Hinsehen entdeckt man in den Gedenktafeln in schwarzer Schrift Geburts- und Todesdaten von eliminierten Schriftstellern. Auf einem Tisch vor der Wand liegt noch ein Stapel von schwarzen Gedenkblättern. Der Besucher bekommt einen Eindruck von der massenhaften Vernichtung humanen Geisteslebens. Nicht weniger als 327 Namen hat Klaus Zwick in aufwendiger jahrelanger Arbeit recherchiert. Kunst ist bekanntlich auch Fleiß.

Eine Fleißarbeit ist auch die Installation „Herbarium oder deutsche Kalenderblätter“. Die 34 Blätter aus den Jahren 1935 bis 1938 hat Zwick auf einem Flohmarkt entdeckt. Sie haben ihn inspiriert, unter dem Datum der gepressten Pflanzen nach zeitgeschichtlichen Ereignissen zu suchen. Die Pflanzenblätter vermitteln einen idyllisch-biedermeierlichen Eindruck, frostig stimmen dagegen die Informationen darunter über das Zeitgeschehen. So wird am 6. 6. 35, als die erste Pflanze der Sammlung gepresst wurde, der Kommunistenführer Fritz Schulz hingerichtet. Auch wenn die Daten zufällig sind, so macht die Installation bewusst, dass, unbemerkt vom „normalen“ Leben, schon früh die Vernichtungsmaschine am Werk war.

Die Wandinstallation „Als das Regime befahl...“ thematisiert eine besondere Begebenheit der Bücherverbrennung 1933 und legt Zeugnis davon ab, welch kostbares Gut das dichterische Wort für den bildenden Künstler Zwick bedeutet. Zwei Texte sind bildnerisch verarbeitet: Der Protest Oskar Maria Grafs, weil seine Werke nicht verbrannt wurden, und ein Brechtgedicht, das diesen Protest verarbeitet.

Die fünfteilige Arbeit „Kolmar, Gertrud“ erinnert an die deutsch-jüdische Dichterin, die 1943 in Ausch­witz umgebracht wurde. Gertrud Kolmar ist die Kusine von Walter Benjamin. Die erste Tafel bringt nackte biografische Fakten, die zweite das eindrückliche Portrait der Dichterin, die dritte ein anrührendes Gedicht, die vierte ein fast verblasstes Portrait, die fünfte die entsetzlich trockene amtliche Bekanntmachung, dass die „berufslose“ Person 1951 unter der Nummer 52095 für tot erklärt wurde. So wurde eine Person ausradiert.

Mareike Schmidts war es vorbehalten, den literarischen Teil der Gedenkveranstaltung zu präsentieren. Die in Kirchheim aufgewachsene professionelle Sprecherin gab den Beweis ihres Könnens. Auch wenn die Inhalte der Texte deprimierend sind, so bleibt der ästhetische Genuss ihres Vortrags. Roswitha Alpers vom Literaturbeirat hatte bei der Textbeschaffung Vorarbeit geleistet. Zu Gehör kamen Augenzeugenberichte von Arnold Zweig und Erich Kästner und Gedichte von unbekannten und bekannten Autoren über ihre Exilsituation, von Theodor Kramer, Hans Sahl, Max Herrmann-Neiße, Walter Mehring, Irmgard Keun, Else Lasker-Schüler und Bertold Brecht. Die Schlusszeile des Brechtgedichtes „Über die Bezeichnung Emigranten“ bildete den Ausklang: „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“.

Die Vernissage mit Lesung lieferte den Beweis dafür, und das in gelungener Form. Zu der Komposition der Veranstaltung trug auch das Saxofonspiel von Rolf-Rüdiger Most bei, der mit seinen jüdischen Liedern ­Zäsuren mit wehmütiger Stimmung schuf.

Die Ausstellung kann noch bis zum 29. Mai besichtigt werden.