Kirchheim

Attacke mit der Schere war Notwehr

Prozess Das Stuttgarter Landgericht spricht den 31-jährigen Tunesier vom Vorwurf des versuchten Totschlags frei.

Symbolbild

Kirchheim. Die Kirchheimer Scherenstiche gegen einen 20-jährigen Syrer waren eine Notwehrtat - das entschied gestern nach sechswöchiger Hauptverhandlung das Stuttgarter Landgericht und sprach den wegen versuchten Totschlags angeklagten 31-jährigen Tunesier frei. Lediglich wegen einer wilden Schlägerei in einem Esslinger Lokal, bei der neben Fäusten und Tritten auch ein Stuhl eingesetzt wurde, muss der 31-Jährige insgesamt zehn Monate Haft absitzen. Anschließend wird er in seine Heimat abgeschoben.

Gründlich und ausführlich erklärte der Vorsitzende Richter der Stuttgarter Schwurgerichtskammer die getroffene Urteils-Entscheidung. Dabei kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte am 6. Januar dieses Jahres in der gemeinsamen Wohnunterkunft in Kirchheim mit seinem damaligen 20-jährigen syrischen Mitbewohner in Streit geraten war. Den Grund des Streits konnten die Richter allerdings nicht mit letzter Sicherheit aufdecken.

Jedenfalls, so die richterlichen Feststellungen, prügelten die beiden sich. Dabei hat der 20-Jährige den Angeklagten angegriffen und auf dem Boden liegend solange gewürgt, bis dieser keine Luft mehr bekam. In diesem Augenblick konnte der Angeklagte nach einer auf einem Tisch liegenden Schere greifen und sich gegen den Angriff mit zwei Stichen zur Wehr setzen, wobei der 20-Jährige Stichverletzungen erlitt. Dies sei laut des Urteils eine eindeutige Notwehraktion gewesen, deshalb auch der Freispruch. Der Zeuge nämlich habe in seiner Vernehmung gelogen, als er behauptete, dass das Würgen nicht stattfand.

Zeuge hat gelogen

Verurteilt hat das Gericht den Angeklagten dennoch wegen einer gefährlichen Körperverletzung, die er am 2. März vergangenen Jahres in einer Gaststätte am Esslinger Bahnhof verübt hatte. Dabei sei es vermutlich um einen geplatzten Drogendeal gegangen, bei dem das Opfer offensichtlich beim Angeklagten Schulden hatte. Den genauen Hintergrund konnten die Richter allerdings nicht ermitteln.

Angesichts seiner Vorstrafenliste und mehrerer strafrechtlicher Urteile setzte es jetzt zehn Monate Haft ohne Bewährung. Diese sei aufgrund der schlechten Zukunftsprognose nicht mehr möglich, so der Gerichtsbeschluss. Von den zehn Monaten hat der Tunesier bereits sieben in U-Haft abgesessen. Polizeibeamte haben ihn nach der Urteilsverkündung mitgenommen, um die vom Karlsruher Gericht verfügte Abschiebung in sein Heimatland auszuführen. Ob gegen den 20-jährigen Syrer, der im Zeugenstand gelogen hat, ein Verfahren in Gang gesetzt wird, ist noch offen. Er wohnt derzeit nicht mehr in der Kirchheimer Unterkunft. Bernd Winckler