Kirchheim

Auch die Politiker nehmen Ideen mit

Umwelt Beim „Markt der Möglichkeiten“ im Marstallgarten zeigten städtische Agendagruppen und andere Akteure, wie vielfältig ihr Einsatz für Nachhaltigkeit ist. Sogar Umweltminister Franz Untersteller lernte dazu. Von Peter Dietrich

Landespolitiker auf dem Markt
Who is who? Die geballte Polit-Prominenz checkte die Möglichkeiten corona-konform mit Maske: Neben Landesumweltminister Franz Untersteller (2.v.r.) sind auch der Landtagsabgeordnete der Grünen, Andreas Schwarz, sowie Kirchheims OB Dr. Pascal Bader sowie die Kirchheimer CDU-Stadträtin Natalie Pfau-Weller zu erkennen. Foto: Peter Dietrich

Ein schneller Fotorundgang und dann nichts wie weg? Nein, Umweltminister Franz Untersteller zeigt bei seinem Besuch des „Marktes der Möglichkeiten“ im Marstallgarten wirkliches Interesse, hakt nach und kostet seine Zeit bis zur letzten Minute aus. So erfährt auch er noch etwas Neues: Beim Stand vom Repair Café bekommt er genaue Informationen zur Reparaturkennzeichnung, die Frankreich zum 1. Januar 2021 bei einigen technischen Geräten einführt. Sie soll, ähnlich wie das Energielabel, auf einen Blick zeigen, wie service- und reparaturfreundlich ein Produkt ist. „Das nehme ich mit“, verspricht der Minister.

Am Ende wird dann die Zeit knapp, der nächste Termin drängt, so reicht es auf der Rikscha nur zum Probesitzen, zu keiner Fahrt. Oberbürgermeister Pascal Bader zeigte aber später ohne den Minis­ter, dass er die Rikscha als Fahrer locker fahren und lenken kann, es war nicht seine erste Fahrt damit.

Außergewöhnliche Sommer

Zuvor hatte der Minister den Oberbürgermeister gelobt: Dessen Sachkenntnis beim Thema Nachhaltigkeit sei kein Wunder, schließlich sei Pascal Bader einer seiner engsten Mitarbeiter gewesen. In diesem Jahr, erläutert Franz Untersteller, seien die Ener­giewendetage und Nachhaltigkeitstage zusammengelegt. „Dieses Wochenende gibt es in ganz Baden-Württemberg 1200 Aktionen.“ Seit 1760 habe es keine so drei heißen und trockenen Folgejahre gegeben wie jetzt. „Die letzten drei Sommer sind die normalen Sommer der Zukunft.“ Die außergewöhnlichen Sommer kämen erst noch.

Der Umweltminister ist froh über die neue Photovoltaikpflicht für Nichtwohngebäude. „Ich mache da Zwangsbeglückung. Wenn ein Discounter seinen Strom für sieben bis neun Cent pro Kilowattstunde selbst produziert, fährt er besser, als wenn er ihn für 15 bis 17 Cent einkauft.“ Gerne hätte er die Photovoltaikpflicht für alle Neubauten, aber da habe der Koalitionspartner nicht mitgemacht. „Ich hätte unterschrieben“, bietet der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Kenner an. Der Umweltminister ermuntert, für Sanierungen die staatliche Unterstützung zu nutzen. „Noch nie gab es so viele Fördergelder wie heute. Bei einem Heizungstausch sind es bis zu 45 Prozent.“

Neidlingen statt Kyoto

Die Politiker geben sich ohnehin ein Stelldichein an diesem Nachmittag. Der grüne Fraktionsvorsitzende Andreas Schwarz wünscht sich für die Bewältigung des Klimawandels die gleiche Entschiedenheit wie im Umgang mit der Coronakrise. Der grüne Bundestagsabgeordnete Matthias Gastl sagt, Berlin schaue oft nach Baden-Württemberg: „Kein anderes Land geht bei der Reaktivierung von Bahnstrecken so systematisch vor.“

Oberbürgermeister Pascal Bader kündigt den Ausbau der Kirchheimer Radverkehrsachsen an. Die Kirchheimer CDU-Landtagskandidatin Natalie Pfau-Weller fordert, die Stadtstrukturen zu überdenken: „Nachhaltigkeit erfordert übergeordnetes Arbeiten, das müssen wir Kommunen erst einmal lernen.“ Sie fordert auch eine verstärkte Klimafolgenanpassung und stößt beim OB auf offene Ohren. Applaus bekommt zum Schluss der gewohnt volksnahe Andreas Kenner, als er forderte, statt den Kirschblüten in Kyoto die Kirschblüten in Neidlingen zu bewundern: „Dort können Sie mit dem Fahrrad hinfahren.“

Manches lerne sich am besten nebenbei, sagt Heinrich Brinker von der Linken an einem der Stände, und präsentiert die 17 Nachhaltigkeitsziele kompakt auf einem Bierdeckel, eine Kirchheimer Idee. Apropos Bier: Die Frage, wieviel CO2 sich durch den Konsum von lokalem Bier einsparen lässt, gehörte zum städtischen Quiz. Auf einen einzigen Langstreckenflug zu verzichten, macht natürlich sehr viel mehr aus. Am Stand des Weltladens entscheidet das Glücksrad, zu welchem Thema anschließend die Quizfragen kommen. Kocht man einen Dal mit Gummibärchen oder Kräuternudeln? Nein, mit roten Linsen.

Ideen gibt es auch für Modebewusste. Für ausgediente Kleider gibt es mehrere Möglichkeiten: Sind sie noch gut tragbar, finden sie über den Diakonieladen einen neuen Besitzer. Ist nur noch der Stoff rund um das Loch gut, bietet sich „Upcycling“ an, die offene Nähwerkstatt in der Jesinger Grundschule.

 

Zwei erfolgreiche Projekte

Im Dezember 2018 hat Michaela Zeaiter mit der offenen Nähwerkstatt „Upcycling“ begonnen. Sie ist derzeit zweimal pro Woche geöffnet. „Wir haben sechs Nähplätze. Das reicht, aber es gibt die Möglichkeit zu wachsen. Es macht mehr Spaß, gemeinsam mit anderen zu nähen. Jeder setzt sein eigenes Projekt um, die Näherinnen tauschen Ideen aus.“ Männer sind sehr selten, kommen aber schon mal vorbei, um ausgediente Hemden zu bringen. Diese sind willkommen, lassen sie sich doch unter anderem für hübsche Lätzchen verwenden.

Für das „Recht auf Wind im Haar“ setzt sich das Projekt „Rikscha Kirchheim“ ein, das Menschen mit eingeschränkter Mobilität durch Kirchheim und die nähere Umgebung fährt. „Wir erleben viele glückliche Gesichter“, sagt Bernd Cremer. Die erste Rikscha beim Gemeinschaftsprojekt wurde per Crowdfunding finanziert. Ein Unternehmer fand das Projekt so klasse, dass er für rund 6000 Euro eine zweite Rikscha spendierte. pd

Energiewende- und Nachhaltigkeitstage: Markt der Möglichkeiten im Marstallgarten - Schmeck die Teck
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