Kirchheim

Auf Kant gebaut

Randnotiz von Andreas Volz zur Philosophie der Biergarten-Öffnung.

Frühling , Wachthaus , Biergarten, Magnolienbaum
Frühling , Wachthaus , Biergarten, Magnolienbaum

Man sollte ihn herunterbeten können wie einst den Katechismus - Kants kategorischen Imperativ: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ Vereinfacht geht es um die Beantwortung der Frage: „Wo kämen wir hin, wenn alle das machen würden?“

Wenn nun, nach Wochen des Eingeschlossen-Seins, am Montag die Biergärten wieder öffnen, müssen wir alle uns genau diese Frage stellen - zumindest diejenigen, die sich schon in der Prä-Corona-Zeit gerne in Biergärten aufgehalten haben und die es danach dürstet, endlich wieder ihren Lieblingsort aufzusuchen.

Ja, wo kämen wir dann hin? Die naheliegendste Antwort heißt: in den Biergarten. Aber so einfach ist es nicht. Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedli­che Verhaltensweisen: Wir gehen hin oder wir bleiben zuhause.

Wenn alle in den Biergarten gehen, steigt natürlich auch die Gefahr einer Infektion mit dem Coronavirus. Mit den Infektionszahlen steigen auch die Fälle schwerer Erkrankungen und die Sterberaten. Wer also in den Biergarten geht, trägt dazu bei, dass viele Menschen erkranken und sterben. Er nimmt deren Leid und Tod billigend in Kauf. Klares Fazit: Das geht nicht, es wäre moralisch verwerflich.

Andererseits: Die Wirtschaft ist durch die Coronakrise schon schwer genug gebeutelt, insbesondere die Gastwirtschaft. Wenn wir also das Geld, das wir jetzt noch zur freien Verfügung haben, nicht in die Biergärten tragen, sorgen wir dafür, dass die Wirtschaft zum Erliegen kommt - mangels Geldzirkulation. Klares Fazit: Wir sind moralisch verpflichtet, in den Biergarten zu gehen. Zur Belebung und Stärkung der Wirtschaft.

Ja, was denn nun? Kant hilft in den Extrempositionen nicht weiter. Bei aller Kritik: Ob reine oder praktische Vernunft - wir sollten das eine tun, ohne das andere zu lassen. Wir sollten also nicht gleich alle auf einmal die Biergärten stürmen. Und wir sollten, wenn wir dort sind, auf Abstands- und Hygieneregeln achten. Wir dürfen guten Gewissens zuhause bleiben, weil wir so die Menschheit retten - epidemiologisch gesehen. Wir dürfen aber auch guten Gewissens in die Biergärten pilgern, weil wir so ebenfalls die Menschheit retten - ökonomisch gesehen.

Die notwendige Urteilskraft sollte jeder selbst besitzen und anwenden. Das allgemeine Gesetz dazu lautet - wenn auch nicht als Notverordnung: Geht in den Biergarten so oft wie nötig und so selten wie möglich. Oder umgekehrt. Gehet hin und genießet in Maßen. Dann macht ihr kategorisch alles richtig. In diesem Sinne: Prosit Neustart!