Lokale Kultur

Bernd Möbs referierte auf Einladung des Kirchheimer Literaturbeirats über Hermann Lenz

Bernd Möbs referierte auf Einladung des Kirchheimer Literaturbeirats über Hermann Lenz

Kirchheim. Ein Vortrag über einen Autor Hermann Lenz? Heißt der nicht Siegfried Lenz – „Die Deutschstunde“ und so? Der Autor Hermann

Lenz war es gewohnt, mit seinem berühmten Schriftstellerkollegen verwechselt zu werden. Er ist ein Landeskind. 1913 geboren, wuchs er in Künzelsau auf und lebte bis 1975 als freier Schriftsteller in Stuttgart. Dann musste er wegen Erbstreitigkeiten nach München umziehen, wo er 1998 starb.

Der Literaturbeirat der Stadt Kirchheim kümmert sich bevorzugt um Autoren der Region. So war es Zeit, sich um diesen immer noch unbekannten Autor zu kümmern, der erst im Alter die Anerkennung der literarischen Welt durch die Verleihung des renommierten Büchnerpreises gewann. Zu diesem Vorhaben hat der Beirat als Referenten Bernd Möbs gewonnen. Möbs kennt sich in Kirchheim aus, weil er dort schon literarische Führungen gemacht hat, und er kennt sich vor allem bei Hermann Lenz aus. Er schuf sofort Kontakt zu seinen Zuhörern im Max-Eyth-Haus, indem er seine persönliche Beziehung zum Werk von Lenz offenbarte: Als Rheinländer nach Stuttgart verpflanzt, hat er Stuttgart über das Werk dieses Autors kennengelernt. Denn Lenz hat Stuttgart in vielen Details beschrieben. Seither ist Möbs ein intimer Kenner und bietet in Stuttgart auch literarische Spaziergänge auf den Spuren seines Spaziervorgängers an.

Der Referent wählte als Einstieg zu seinem Vortrag über „Fremdling und Wanderer. Hermann Lenz in Stuttgart“ einen Textausschnitt aus dem 1978 erschienenen „Tagebuch vom Überleben und Leben“. Ein Eugen Rapp kommt im Alter von 33 Jahren aus der Kriegsgefangenschaft nach Stuttgart in sein Elternhaus in der Birkenwaldstraße. Das entspricht der Biografie des Autors. Eugen Rapp ist das alter ego von Hermann Lenz. Möbs wertete diese Textstelle im Detail aus, um die Wesenszüge der Person Hermann Lenz herauszuarbeiten. Lenz alias Eugen Rapp muss einen Lebensplan fassen und entscheidet sich mutig für die hoffnungslose Existenz als freier Schriftsteller – ganz im Gegensatz zu seiner Schwester, die mit ihrem Ehemann wirtschaftlichen Erfolg anstrebt.

Weiterhin: Lenz ist ein verschlossener Mensch. Er zeigt seine Gefühle nicht, die in ihm brodeln. Er unterhält sich nicht mit seinen Familienmitgliedern, sondern in inneren Monologen mit sich selbst oder mit dem Inventar seiner Dachkammer, am liebsten mit seinem Schreibtisch. Mit den gewohnten Gegenständen, die ihn umgeben, ist seine Existenz verankert. Er wird das Inventar auch in die Münchner Dachkammer mitnehmen. Das Schreiben ist für Hermann Lenz eine Möglichkeit, mit seinem inneren Druck fertig zu werden. Er schreibt sage und schreibe neun Eugen-Rapp-Romane, den letzten über seine Münchener Zeit („Freunde“ 1997). Allerdings darf man, so der Referent, die Gestalten Eugen Rapp und Hermann Lenz nicht deckungsgleich nehmen. In viele authentische biografische Details mischen sich auch mal fiktionale Elemente.

Rapp/Lenz ist privat ein Mensch, der sich nicht mit einem Auto fortbewegt, sondern mit dem Fahrrad. Er liebt Spaziergänge und Wanderungen, am liebsten im Bayerischen Wald oder im Strohgäu. Er besitzt kein Fernsehgerät und schätzt unter den Mitmenschen eigentlich nur seine Frau Helge, eine Kunsthistorikerin. Er ist überall ein Fremder. Die Rapp-Romane und die übrigen Romanwerke waren bewusst „unmodern“, wenn man die modischen literarischen Strömungen etwa des Existenzialismus oder der gesellschaftspolitisch engagierten Literatur als Maßstab nimmt.

Lenz scheitert bei einer Lesung der Gruppe 47 und orientiert sich an österreichischen Autoren wie Stifter und Hofmannsthal sowie, wohlbemerkt, am schwäbischen Mörike. Er schreibt scheinbar abseitige Romane über die Spätzeit der Habsburger. Auch stilistisch verweigert er sich den modernen Trends. Seine Romane sind nicht von einer zielstrebigen Handlung geprägt, sondern von lockeren Einzelszenen mit hingebungsvollen Natur- und Personenbeschreibungen.

Das Unzeitgemäße musste diesen Schriftsteller isolieren und unbekannt sein lassen bis, ja bis ein dreißig Jahre jüngerer, schon berühmter Autor ihn in den Blickpunkt der Öffentlichkeit hob: Peter Handke schrieb 1973 in der Süddeutschen Zeitung einen Essay „Tage wie aufgeblasene Eier. Einladung, Hermann Lenz zu lesen“. Ab diesem Zeitpunkt setzte die Wertschätzung der literarischen Öffentlichkeit ein.

Möbs legt weniger Wert auf literaturgeschichtliche Tiefenbohrungen, versteht es aber trefflich, Appetit auf die Lektüre zu machen, auch wenn sie fürs erste nicht zu schmecken scheint. In seiner frischen, gestenreichen Vortragsweise holt er die Zuhörer ab, indem er ehrlich darauf verweist, dass der Autor beim ersten Eindruck „langweilig“ ist. Wenn man sich aber auf ihn einlässt, bekommt man Genrebilder der jeweiligen Zeit­epochen, die gerade durch die Distanz, die Lenz pflegt, besonders scharf sind. Außerdem übt die Erzählweise mit ihrer Sprachkunst eine Faszination aus. Es ist die Magie des Alltäglichen, die Handke bei der Lektüre so „glücklich“ sein lässt.