Kirchheim

Corona macht den Zuschauer zum Akteur

Aufführung Die Württembergische Landesbühne Esslingen spielt Antigone von Sophokles. Ein stimmiger Theaterbesuch, der sich trotzdem anders anfühlt. Von Ulrich Staehle

Die transparenten Schutzmasken werden produktiv ins Stück integriert. Foto: Patrick Pfeiffer
Die transparenten Schutzmasken werden produktiv ins Stück integriert. Foto: Patrick Pfeiffer

Das Virus greift in das Leben ein. Auch in das kulturelle Leben und ganz besonders in das Theaterleben. Denn das Virus hat im Theaterbetrieb besonders günstige Bedingungen. Die Zuschauer drängen sich an der Kasse und an der Garderobe. Sie sitzen in engen Reihen direkt nebeneinander. Und wie sollen die Bühnenakteure vorher mit Abstand proben und später spielen, wenn es gilt, sich zu umarmen, sich zu küssen oder miteinander zu raufen? „Uns wurde der Stecker gezogen“, stellte im März der Intendant der Württembergischen Landesbühne in Esslingen (WLB), Friedrich Schirmer, fest. Dabei sei doch Theater ein kulturelles Lebenselixier - womit er recht hat.

Als „pessimistischer Optimist“ verharrte er aber zusammen mit seinem Co-Intendanten Marcus Grube nicht in der Depression. Letzten Samstag war es so weit. Da fand in der WLB die erste Premiere eines größeren Theaters in der Region statt mit der „Antigone“ von Sophokles, in der Nachdichtung von Walter Jens. Am Sonntag war für das Normalpublikum Gelegenheit, sich einen Eindruck zu verschaffen, wie in Coronazeiten Theater möglich gemacht wird und wie sich das anfühlt.

Der Theaterbesucher merkt bald den Unterschied: die Garderobe und die Bar sind geschlossen und es gibt auch kein Programm zu kaufen. Der Zuschauer wird bei einer Theateraufführung selbst zum Akteur: eine Online-Buchung ist nicht möglich, er muss sich vorher um einen Platz telefonisch oder an der Kasse bemühen. Falls er einen der zugelassenen 99 Plätze bekommt, gilt es, beim Betreten des Theaters eine Maske aufzusetzen und die Abstandsregel einzuhalten. An der Kasse wird keine Karte für einen bestimmten Platz, sondern für eine Reihe ausgegeben, in der neben gesperrten Sitzen Einzel- oder Zweiersitze vorhanden sind. Der spezielle Weg zu dem Eingang und der Reihe ist durch ein Farbband, Farbe siehe Eintrittskarte, markiert. Die Reihe wird in der Reihenfolge des Kommens aufgefüllt. Hat der Zuschauer nun mit Hilfe des reichlich vorhandenen und freundlichen Personals einen Platz gefunden, kann er seine Maske abnehmen.

Unsterblichkeit bewiesen

Nun geschah etwas Überraschendes. Intendant Schirmer begrüßte höchst persönlich seine Theatergäste in diesen schwierigen Zeiten: Das Theater sei angesichts der Vorkehrungen und der funktionstüchtigen Klimaanlage der sicherste Platz, den es zurzeit gibt. Mit dem Wiederaufleben des Theaters beweise es seine „Unsterblichkeit“.

Nun ging es los mit der Handlung einer vor 2500 Jahren von Sophokles geschriebenen Tragödie. Es geht um den tragischen Konflikt zwischen Antigone, die ihren Bruder nach göttlichem Recht bestatten will, und Thebens Herrscher Kreon, der ein Exempel an dem Staatsfeind statuieren will und ein Begräbnis bei Todesstrafe verbietet.

Man könnte vermuten, das Stück sei speziell für Coronazeiten ausgewählt worden, denn die Figuren fechten ihre Konflikte verbal aus und können dadurch auf der Bühne Abstand halten. Das Drama war aber schon vor Corona aufführungsreif geprobt. Corona spielt jetzt aber auch mit, sichtbar in den zwei freien ersten Reihen und den transparenten Schutzmasken, die die Spieler tragen. Die Plastikmasken werden dabei produktiv in den Dialogen eingesetzt. Die Zuschauer können sich jetzt lustvoll dem wiederbelebten Theatervergnügen hingeben, obwohl es auf der Bühne so tragisch zugeht. Die dichte Inszenierung kommt beim Publikum im notwendigerweise spärlich besetzten Zuschauerraum sehr gut an. Und ebenso, so kann man lesen, in der regionalen und überregionalen Presse. Theater in Coronazeiten lohnt sich trotz aller dieser Umstände.

 

Weitere Vorstellungen gibt es am 3., 4. und 5. Juli in Esslingen.

Die transparenten Schutzmasken werden produktiv ins Stück integriert. Foto: Patick Pfeiffer
Die transparenten Schutzmasken werden produktiv ins Stück integriert. Foto: Patick Pfeiffer