Kirchheim

Corona trennt Familien

Fotomontage: Jean-Luc Jacques und David Hofmann
Fotomontage: Jean-Luc Jacques und David Hofmann
Vor zwei Jahren haben Carolina Naccarato und ihr Mann Kirchheim besucht. – Ein Wiederholungsbesuch ist offen, weder die Finanzen
Vor zwei Jahren haben Carolina Naccarato und ihr Mann Kirchheim besucht. – Ein Wiederholungsbesuch ist offen, weder die Finanzen noch die aktuellen Infektionszahlen lassen das zu. Foto: pr

Pandemie Corona trennt Familien und Freunde. Das Virus wütet weltweit mit unterschiedlichen Folgen. Manches kommt im Fernsehen, anderes spürt man am eigenen Leibe - dann nämlich, wenn man persönlich betroffen ist: Reiseverbote verhindern Treffen mit lieb gewonnenen Menschen. Ihre Nachrichten auf WhatsApp oder am Telefon verdeutlichen die Situation in ihren Ländern klarer, als es jedes Nachrichtenmagazin schaffen würde. Denn das, was den Angehörigen oder besten Freunden in Frankreich oder Argentinien, in Schweden oder Südafrika passiert, durchleidet man in Kirchheim mit. Auf dieser Seite haben Teckboten-Mitarbeiter persönliche Erfahrungen mit lieben Menschen irgendwo auf der Welt zusammengetragen. ist

 

In Argentinien tanzt keiner mehr Tango

Cordoba. Die Südamerikanerin Carolina Naccarato sieht kein Licht am Ende des Tunnels. Als „endlose Quarantäne“ empfinden die Argentinier das Jahr 2020. „Wir sterben nicht an Corona, wir sterben an Hunger“, hat meine Cousine Carolina jüngst verbittert geschrieben – eine Anspielung auf den Spruch „Leben geht vor Wirtschaft“ des sozialistischen Staatsoberhauptes, Alberto Fernandez.

Tatsächlich wurde im zweitgrößten Land Südamerikas von der sozialistischen Regierung bereits früher und drastischer als anderswo der Lockdown verfügt, am 20. März bei nur wenig mehr als 150 Infizierten. Anfangs schien diese Maßnahme das Land tatsächlich zu retten und brachte der Regierung viel Lob ein – doch offensichtlich wurde die Kurve nur verzögert, jetzt explodieren die Infektionszahlen.

Seit vielen Monaten ist jedes Leben aus den Straßen der Metropole Buenos Aires gewichen, die Ausgangssperre wurde nun in der Hauptstadt zum zwölften Mal verlängert. Die Tango-Viertel sind verwaist.

Der Stillstand in der Hauptstadt tötet das wirtschaftliche Leben auch in den anderen Städten. Cousine Carolina verdient ihr Geld in der Modebranche, sie verkauft hochwertige Unterwäsche europäischer Labels an Händler in argentinischen Städten. Doch für teure Wäschestücke, die niemand sieht, hat keine Argentinierin mehr Geld übrig. Die Ladenzeilen sind überwiegend verödet, die Geschäfte dicht. Die ehemalige Mittelklasse ist längst auf dem Weg in die Verarmung – und macht vielfach dafür die Regierung verantwortlich, die sie in diktatorischer Manier zum Dauer-Lockdown zwinge: Sozialen Sprengstoff gibt es reichlich.

„Fünfzig Prozent der Bevölkerung leben am Rande der Armut“, berichtet die Südamerikanerin in ihren Whatsapp-Nachrichten. Schon vor Corona hatte das Land mit galoppierender Inflation zu kämpfen. Selbst wer Geld hat, darf nichts in amerikanische Dollar oder in Euro eintauschen. Das Geld soll im Land bleiben, die Bürger auch. Flüge in andere Länder gibt es so gut wie nicht, an Urlaub denkt sowieso keiner. Von der südamerikanischen Leichtigkeit ist in dem Staat, der bis vor kurzem immerhin das zweithöchste Bruttosozialprodukt des Kontinents hatte, längst nichts mehr zu spüren. „Es ist zum Verzweifeln“ schreibt die Cousine. Irene Strifler

 

„Das Virus isoliert uns“

Kapstadt. Das Coronavirus verbreitet sich auf der ganzen Welt. Auch in Afrika. Na und? – Wenn der Sohn mit Familie zurzeit in Kapstadt lebt, dann bekommen Meldungen aus Afrika eine brisante Bedeutung. Nach unangenehmen Prognosen für Südafrika klang die Stimme des Sohnes am Telefon besorgt: Was ist, wenn sich in den dicht besiedelten Townships das Virus rasant verbreitet? Wenn es einen Kampf um die Intensivbetten gibt? Wohl aus ähnlichen Überlegungen hat Südafrikas Präsident Ramaphosa am 18.März einen im internationalen Vergleich sehr strengen Lockdown erlassen. Niemand durfte seine Wohnung verlassen, außer zum Einkaufen oder in Notfällen. Schulen und Kitas waren geschlossen, Alkohol- und Zigarettenverkauf verboten. Unsere Schwiegertochter berichtet, dass das Warenangebot normal ist. Allerdings wird die Zahl der Kunden kontingentiert, sodass sich Schlangen vor den Supermärkten bilden. Maskenpflicht besteht generell, sobald man das Haus verlässt.

Der Lockdown war für die Familie relativ erträglich, da die beiden Mädchen im Alter von sieben und vier Jahren Platz, Spielsachen und vor allem sich selber hatten. Für die meisten anderen Familien im Kapstädter Bekanntenkreis stellen die Lockdownregelungen eine schwer auszuhaltende Einschränkung der Lebensqualität oder gar eine Gefährdung der Existenzgrundlage dar. Aufgrund der niedrigen Infektionsrate wurden die Bestimmungen nach vier Wochen gelockert. So durfte man die Wohnung täglich für drei Stunden verlassen – von 6 Uhr bis 9 Uhr morgens. Im südafrikanischen Herbst war da die erste Stunde noch dunkel.

Unser Sohn arbeitet als Lehrer an der Deutschen Internationalen Schule in Kapstadt. Während der strengsten Phase des Lockdowns unterrichtete er online mithilfe einer erstaunlich guten technischen Ausstattung. Trotz ansteigender Infektionszahlen wurde schrittweise Präsenzunterricht eingeführt, seit drei Wochen ist er jetzt die Regel. Die Familie kann sich inzwischen wieder innerhalb Südafrikas bewegen. Aber das Virus isoliert immer noch.

Das ist kein Luxusproblem, sondern für uns Großeltern schlimm. Wir konnten seither nicht zu unserer Familie fliegen, bei weiteren Planungen gibt es laufend Änderungen der Bestimmungen. Zoom kann das nicht auffangen. Es heißt, Großeltern seien für die Enkelkinder wichtig. Für uns steht fest: Enkelkinder sind für Großeltern wichtig. Ulrich Staehle

 

Der Preis für die Offenheit ist hoch

Stockholm. „Der Schwede glaubt ans Abstandhalten und Händewaschen“, erzählt Corinna Steiner. Seit fast sechs Jahren lebt die Ärztin mit ihrer Familie in der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Während im Frühjahr in vielen anderen europäischen Ländern das öffentliche Leben praktisch zum Stillstand kam, ging es bekanntlich in Schweden beinahe wie gewohnt weiter: Die Schulen und Kitas blieben größtenteils geöffnet, Läden, Gaststätten und Kneipen ebenso. Lediglich die Oberstufenschüler und die Studenten mussten sich aufs Online-Lernen umstellen. Nur Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern sind nach wie vor nicht erlaubt – also kein Theater, keine Konzerte, keine Eishockeyspiele vor Publikum, die Vergnügungsparks allesamt geschlossen.

Doch der Preis für die Offenheit ist hoch: Im Land der Elche sind wesentlich mehr Menschen an Corona gestorben als in den Nachbarländern. „Die hohen Todeszahlen sind einfach furchtbar“, erzählt mir unsere enge Freundin Corinna am Telefon ganz unverblümt. Gerade auf dem Land, wo die Krankenhäuser klein sind, waren die Kapazitäten schnell erschöpft. Aber auch im Karolinska, der Stockholmer Universitätsklinik, wo Corinna arbeitet, musste auf Notbetrieb umgestellt werden. „Die Kollegen auf der Intensivstation dort haben bis zum Umfallen gearbeitet – und manche sagen, dass sie seither einen Knacks weghaben.“

Trotzdem beobachtet sie: „Die Bevölkerung hat nach wie vor großes Vertrauen in die Behörden.“ Klar, die Schweden seien schon immer reichlich distanziert und auf Abstand bedacht gewesen, insofern seien die Handlungsanweisungen der Gesundheitsbehörde – halte Abstand, wasche die Hände, bleib zu Hause, wenn du dich krank fühlst – nicht wirklich ungewöhnlich gewesen, erzählt die Ärztin. „Die Leute halten sich auch daran. Mittlerweile sieht man sogar in der U-Bahn Menschen mit Masken.“

Jetzt kommt der Winter, und auch in Schweden steigen die Infektionszahlen wieder. Corinna Steiner sieht das noch gelassen: „Je kälter es wird, desto mehr ziehen sich die Schweden in die eigenen vier Wände zurück – das ist dann wie eine selbstgewählte Quarantäne.“Volkmar Schreier

 

Keine „lustigen Holzhackerbuam“

Morlaix. Anfang September konnten wir Christian und Annick Jaulneau, unsere Freunde in der Bretagne, trotz Corona noch besuchen. Kennengelernt hatten wir uns über den Bürgerbus, als die beiden noch in Rambouillet lebten. Auch nach ihrem Umzug in die Bretagne haben wir den Kontakt aufrecht­erhalten und uns jedes Jahr getroffen – obwohl der Weg nun doppelt so weit ist. Aber dieser Weg lohnt sich, auch im Corona-Sommer.

Chris­tian und Annick haben uns dieselben Geschichten über den Lockdown erzählt, wie wir sie im Frühjahr selbst erlebt hatten: Klopapier und haltbare Lebensmittel waren „weggehamstert“. Aber der „Confinement“ – den man mit „Beschränkung“ ­ebenso übersetzen kann wie mit „Abschirmung“, „Quarantäne“, „Ausgangssperre“, „Hausarrest“ oder gar „Gefangenschaft“ – war in Frankreich viel härter als bei uns. Unsere Freunde durften sich im Frühjahr maximal einen Kilometer von ihrem Haus entfernen, wenn es nicht zum Arzt oder zum Einkaufen ging. Arbeiten wäre zwar auch eine Möglichkeit gewesen, von der eigenen Scholle wegzukommen – allerdings nicht für die beiden: Sie sind erst im Ruhestand in die Bretagne gezogen.

Auf dem eigenen Grundstück zu arbeiten, war teilweise trotzdem untersagt: So durfte kein Holz gehackt werden, weil man sich verletzen könnte und weil man sonst Covid-Patienten die Krankenhaus-Plätze wegnehmen würde. Spazieren am Meer? Im September war es uns zum Glück erlaubt. Im Frühjahr ging auch das nicht.

Und jetzt? Christian schreibt von einem „Wirrwarr an Informationen“. Es gibt einen Teil-Lockdown, ähnlich wie bei uns. Die Beschränkungen gelten aber landesweit, also auch im Département ­Finistère, wo die beiden in der Nähe von Morlaix leben. Dass die Zahlen dort vergleichsweise niedrig sind, spielt keine Rolle.

Im Zusammenhang mit ­Corona beklagt Christian auch die steigende Arbeitslosigkeit. Aber die Schlagzeilen werden derzeit weniger von der Pandemie beherrscht als von den Terroranschlägen. „Wenn wir nur Corona hätten, ginge es uns ja noch gut“, schreibt Christian. Persönlich verfügt er immerhin über ein gutes Mittel, um sich die triste Zeit im Corona-Winter aufzuhellen – eines unserer Mitbringsel: „Das Warten auf neue schöne Tage werde ich mir immer wieder durch ein deutsches Bier verkürzen.“ Andreas Volz

 

Angst vor der Polizei bekommen

Palma de Mallorca. Es wird zwar geschrieben, dass es bisher nur eine nächtliche Ausgangssperre ist, aber der Alarmzustand ist wieder verhängt und der ermöglicht Mallorcas Landesregierung, „nötige“ Einschnitte zu tätigen. „Das macht mir Angst. Ich gehe davon aus, dass es wieder eine strenge Ausgangssperre gibt“, sagt Dorothee Kammel, die seit sieben Jahren auf der Baleareninsel lebt.

Den ersten Lockdown vor mittlerweile fünf Monaten ging sie noch ganz „tough“ an und verbreitete diese Haltung auch im Freundeskreis. „Homeoffice fand ich anfangs gar nicht so schlimm. Aber dann zerrte die Ungewissheit an den Nerven. Niemand durfte raus, nur zum Einkauf.“ Als sie einmal mit dem Rucksack zum Supermarkt lief, schrie jemand aus dem obersten Stock eines Hauses „quedate en tu puta casa“: „Bleib in deinem verdammten Haus“. „Galt das mir? Die Nerven lagen blank“, erinnert sie sich. Nachbarn bauten auf den Balkonen Fitnesstudios auf und auch sie drehte ein wenig verzweifelt auf der großen Terrasse ihre Runden.“

Nach der Öffnung kehrte langsam so etwas wie Normalität zurück, alle entspannten sich. Doch mit steigenden Zahlen zogen die Regeln wieder an und wurden noch härter: Die Maskenpflicht herrschte nun immer und überall, auch draußen, auch wenn man alleine war. „Die Wut stieg in mir hoch, die Regeln erschienen mir nicht logisch“, erzählt Dorothee. Sie geht seitdem seltener spazieren, nimmt dafür eher das Fahrrad, das man noch offiziell ohne Maske tun kann. Auch am Strand darf man „frei atmen“: immerhin.

Corona hat etwas mit Dorothee Kammel gemacht. „Die Angst vor der Polizei habe ich hier zum ersten Mal gespürt. Von einem Polizisten weggescheucht zu werden, nur weil man aufs Meer schaut, anstatt sich zu bewegen, hat mich wütend gemacht. Ich muss Regeln nachvollziehen können, sonst rebelliert es in mir.“ Die Spanier sind dagegen exzellent im Anpassen, meint sie. Obwohl es für Barbesitzer zum Verzweifeln ist, halten sich die meisten brav an die Regeln und wirken kaum verbittert. Ihre Haltung zu Spanien hat sich verändert: „In dem Land fehlt mir etwas der Glaube an die Eigenverantwortung.“ Vielleicht zu Recht? „Die Spanier sagen ja von sich selbst: ,Wenn ihr uns rausgehen lasst, gehen wir auch raus.‘“ Vor einem zweiten rigorosen Lockdown“ hat sie Angst. Thomas Zapp