Kirchheim

„Das Ding hat Charme und Potenzial“

ÖPNV Die Bürgermeister stehen einer Reaktivierung der Bahnstrecke zwischen Kirchheim und Göppingen positiv gegenüber. Jetzt gilt es, viele offene Fragen zu klären. Von Heike Siegemund

Foto: Peter Dietrich
Foto: Peter Dietrich

Die letzten Züge auf der Voralbbahn zwischen Göppingen und Bad Boll sind 1989 gefahren. Seither ist die Strecke verwaist. Immer wieder gab und gibt es Überlegungen, die Bahntrasse mit Weiterführung nach Kirchheim zu reaktivieren. Sowohl im Rathaus in Bad Boll als auch in Weilheim beschäftigt man sich schon seit Jahren mit diesem Thema und hat bereits entsprechende Untersuchungen in Auftrag gegeben. Vor wenigen Monaten stellten die SPD-Landtagsabgeordneten Andreas Kenner, Peter Hofelich und Sascha Binder eine Anfrage an die Landesregierung zu den Aussichten und dem Nutzen einer Reaktivierung der Voralbbahn.

Jetzt haben sich auch die Grünen-Landtagsabgeordneten Andreas Schwarz aus Kirchheim und Alexander Maier aus Göppingen eingeschaltet: Auf ihre Initiative hin trafen sich gestern in Bad Boll zum ersten Mal die Bürgermeister von fast allen betroffenen Kommunen, um über das Thema zu diskutieren.

Die Bahn bietet Chancen

„Wir hatten ein gutes Gespräch“, sagten anschließend die beiden Grünen-Landtagsabgeordneten sowie Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle und Bad Bolls Rathauschef Hans-Rudi Bührle. Sie berichteten von einem Schulterschluss der Kommunen, die eine mögliche Reaktivierung als Chance für die gesamte Raumschaft verstehen. „Die Stimmung war: Das Ding hat Charme und Potenzial. Es lohnt sich, die offenen Fragen zu klären“, sagte Schwarz. Im Gespräch mit den Bürgermeistern habe man herausfinden wollen, „ob wir im Führerstand sitzen oder im Bremserhäuschen - und es war keiner da, der im Bremserhäuschen sitzt“. Schwarz verdeutlichte: „Wir wollen die Region weiterentwickeln.“ Ein attraktiver Schienenverkehr trage dazu bei, dass die Gemeinden als Wohnorte und Arbeitsstätten profitieren.

Von einer Reaktivierung der Bahnstrecke wären die Gemeinden Kirchheim, Holzmaden, Weilheim, Aichelberg, Zell, Bad Boll, Dürnau, Eschenbach, Ursenwang und Göppingen betroffen. Sinn mache die Reaktivierung nur in einem Ringschluss, verdeutlichte Schwarz: In Kirchheim könnte man die S-Bahn in Richtung Stuttgart nehmen und in Göppingen in die Züge einsteigen, die in Richtung Geislingen und Ulm fahren.„Die Bürger machen an den Landkreis-Grenzen nicht halt. Wir sehen große Verflechtungen“, sagte Züfle. Beispielsweise fahren viele Bad Boller zum Einkaufen nach Kirchheim, ergänzte Schwarz. Umgekehrt arbeiten viele Menschen aus der Teck-Region in Bad Boll, zum Beispiel beim Pharmaunternehmen Wala, ergänzte Bührle. Laut einer Untersuchung, die seine Gemeinde bereits in Auftrag gegeben hatte, könnten in Richtung Kirchheim täglich zwischen 2 000 und 3 000 Fahrgäste unterwegs sein.

Wollen die Voralbbahn bis Kirchheim aufs Gleis setzen (von links): Bad Bolls Bürgermeister Hans-Rudi Bührle, Weilheims Bürgermei
Wollen die Voralbbahn bis Kirchheim aufs Gleis setzen (von links): Bad Bolls Bürgermeister Hans-Rudi Bührle, Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle und die Grünen-Landtagsabgeordneten Alexander Maier und Andreas Schwarz.Foto: Heike Siegemund

 

Der Vorteil: Vor 20 Jahren trafen die Kommunen eine Vereinbarung, in der sie sich dazu verpflichteten, die Trasse frei zu halten, ergänzte der Bad Boller Bürgermeister. Diese Vereinbarung habe nach wie vor Bestand. „Wann, wenn nicht jetzt?“, fragte Schwarz. Sowohl der Bund wolle mehr Mittel für den Nahverkehr zur Verfügung stellen „als auch wir als Land wollen uns in der Hinsicht engagieren“. Zudem sei der Aufbau einer Schienenverbindung zwischen Göppingen und Kirchheim im Regionalverkehrsplan unter hoher Dringlichkeit eingestuft. Freilich handle es sich um eine Mammutaufgabe, in der viel Zukunftsmusik stecke. Es gebe noch zahlreiche Fragen zu klären: Wie kann ein Betriebskonzept aussehen, wie hoch wären die Kosten, wäre die Reaktivierung wirtschaftlich, wäre sie in Form einer Eisen- oder Stadtbahn denkbar, wie würden Infrastruktur und Streckenführung aussehen?

Zwischen Kirchheim und Holzmaden sowie zwischen Bad Boll und Göppingen liegen die Gleise der früheren Bahnstrecken noch. Vor und in Weilheim wurden sie entfernt. Zwischen Weilheim und Bad Boll gab es noch nie eine Trasse; hier wäre die Frage, wo diese entlangführen könnte. Jetzt gelte es, weitere Partner einzubeziehen wie die beiden Landratsämter und den Verband Region Stuttgart. „Wir wollen den nächsten Schritt gehen und die Kräfte bündeln. Wir brauchen Klarheit“, betonte Schwarz. Auch Züfle verdeutlichte: Anhand von Chancen-Risiken- und Kosten-Nutzen-Bewertungen müsse man die offenen Fragen klären. „Wir wollen in Richtung Umsetzung gehen, ohne dies im Hau-Ruck-Verfahren zu tun, sondern auf fachlicher Basis.“

Drei Fragen an Andreas Schwarz

1. Warum unterstützen Sie eine mögliche Reaktivierung der Bahnstrecke zwischen Kirchheim und Göppingen?

Die Reaktivierung der Bahnstrecke unterstütze ich grundsätzlich, um den Bürgern ein gutes Angebot auf der Schiene zu ermöglichen und den öffentlichen Nahverkehr weiter auszubauen. Ein Ringschluss hätte den Vorteil, dass der Raum Bad Boll und Weilheim wieder eine direkte Schienenverbindung nach Kirchheim bekommen würde. Und ebenso könnte der Raum Göppingen umsteigefrei erreicht werden. Momentan ist eine Reaktivierung der Boller Bahn noch Zukunftsmusik. Gleichzeitig müssen jetzt zügig weitere Schritte eingeleitet werden. Außerdem muss in den politischen Gremien entschieden werden, ob das Vorhaben mittel- bis langfristig wirklich realisiert werden soll.

2. Besteht in Kirchheim und Umgebung denn überhaupt Interesse daran?

Eine Schienenverbindung von Kirchheim nach Weilheim, Bad Boll und Göppingen wäre eine deutliche Verbesserung im Nahverkehrsangebot für die Bürger und Pendler sowie für alle Schüler, die die weiterführenden Schulen in Kirchheim besuchen. Wir könnten mit diesem Angebot die Straßen vom Durchgangsverkehr entlasten, und das wäre außerdem eine ökologische Alternative zum Auto. Die Einkaufsstadt Kirchheim könnte von der Reaktivierung profitieren und dadurch für noch mehr Kunden attraktiv werden. Denn: Eine leistungsfähige Schienenverbindung macht eine Region sowohl als Lebensraum und auch als Arbeitsort attraktiv. Sie fördert die umweltfreundliche Mobilität. Der funktionierende Bahnverkehr ist somit ein wichtiger Standortfaktor für das Wohnen und für hochwertige Arbeitsplätze.

3. Würde sich eine Reaktivierung überhaupt wirtschaftlich rentieren? Wer würde die Kosten tragen?

Nach einer Studie des verkehrswissenschaftlichen Instituts kann ein Ringschluss von Kirchheim über Weilheim nach Bad Boll und Göppingen wirtschaftlich sein. Gute Umsteigemöglichkeiten bieten sich dann für die Fahrgäste sowohl in Kirchheim auf die S-Bahn S1 als auch in Göppingen auf den Regionalverkehr Richtung Ulm. Die weiteren Potenziale müssten jetzt in einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und einer Kosten-Nutzen-Analyse aufgezeigt werden. Das wären die nächsten Schritte. Der Ausbau des Schienennetzes kann nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz finanziert werden. Die Kosten müssten sich Bund, Land, Region und auch die betroffenen Kommunen teilen. Und für die Finanzierung der Strecke nach Holzmaden und Weilheim gibt es im S1- und Teckbahn-Finanzierungsvertrag bereits entsprechende Regelungen.hei