Coronavirus

Das Virus liebt die Nähe zur Alb

Statistik Das Landratsamt veröffentlicht erstmals geographisch zugeschnittene Infektionszahlen. Die ländlichen Gemeinden am Südrand des Landkreises sind demnach besonders stark betroffen. Von Bernd Köble

Karte Corona
Absolute Infektionszahlen im Landkreis Esslingen. Foto: Landratsamt Esslingen
Foto: Landratsamt Esslingen

Wer in der Krise Verantwortung trägt, schätzt vor allem eines: klare Antworten auf wichtige Fragen. Doch genau das fällt den Verantwortlichen im Krisenstab des Landkreises zurzeit schwer, wenn sie erklären sollen, was rätselhaft erscheint. Die so genannte Inzidenz, wie man die Zahl der registrierten Coronafälle bezogen auf eine bestimmte Einwohnerzahl nennt, wirft Fragen auf. Gestern wurden die Vergleichszahlen für alle 44 Städte und Gemeinden im Kreis Esslingen zum ersten Mal veröffentlicht. Sie zeigen: Es gibt nicht nur krasse Ausreißer nach oben und unten, es gibt auch ein deutliches Nord-Süd-Gefälle.

Die mit Abstand höchsten Infiziertenzahlen in Bezug zur Einwohnergröße verzeichnen die Gemeinden, die im Süden nah am Albtrauf liegen. Während der Nordrand, der an Stuttgart grenzt, von den Fildern bis hinüber zum Schurwald nur moderat belastet ist. Einsamer Spitzenreiter mit 1603 Fällen, hochgerechnet auf 100 000 Einwohner, ist die Gemeinde Beuren. Auf Platz zwei folgt Bempflingen mit einer Inzidenz von immerhin noch 1050. Bempflingen grenzt direkt an Altdorf, die einzige Gemeinde im Kreis, wo bisher noch gar niemand positiv getestet wurde. Zum Vergleich: Die Landeshauptstadt liegt mit der Zahl 202 weit hinten im Ranking. Auch im Lenninger Tal fällt auf: Zwischen den vergleichsweise stark betroffenen Gemeinden Dettingen und Lenningen liegen mit Owen und Bissingen zwei Kommunen mit relativ wenigen Betroffenen. Eine geringere Belastung als Bissingen weisen kreisweit nur Altdorf und Altbach auf.

Wie sind diese Unterschiede zu erklären? Zunächst einmal gar nicht. „Es gibt viele Ansätze, doch vieles davon ist nicht schlüssig“, meint Landratsamts-Sprecher Peter Keck. Die Nähe zum Nachbarkreis Reutlingen, der eine deutlich höhere Infektionsdichte als Esslingen aufweist, wäre für die Gemeinden am Albrand eine mögliche Erklärung. Auch sind mit Beuren, Lenningen und Dettingen Gemeinden besonders stark betroffen, wo es Pflegeheime gibt. Doch auch diese These ist gewagt, denn im Haus im Lenninger Tal der Evangelischen Heimstiftung ist bisher kein einziger Infektionsfall bekannt.

In Beuren, dem traurigen Spitzenreiter, sieht das anders aus. „Ja, wir haben ein Problem“, räumt Bürgermeister Daniel Gluiber ein. Die Pflege-Residenz mit ihren 78 Heimplätzen in der Ortsmitte gilt als größere Einrichtung, für die 3700-Seelen-Gemeinde mit Kurzentrum sowieso. Wie viele Bewohner und Mitarbeiter im Heim betroffen sind, will Gluiber nicht sagen. Auch im Landratsamt gibt es darüber keine Auskunft. „Ich will nichts kleinreden, aber auch keine Panik schüren“, sagt Beurens Rathauschef. Ob die Senioren-Residenz als einzige Erklärung infrage kommt? Gluiber weiß es nicht. Dass der Betrieb in der Panorama-Therme, die mit dem Erlass der Landesregierung am 15. März ihre Pforten schloss, ein weiterer Grund sein könnte, dem widerspricht der Bürgermeister allerdings vehement: Es habe dort keinen einzigen Infektionsfall unter Mitarbeitern gegeben, betont er. Insgesamt verzeichnet Beuren Stand gestern 59 Coronafälle. Den rasantesten Anstieg erlebte der Kurort über die Osterfeiertage.

Bisher 10 000 Tests

Nicht nur in Beuren, auch an anderen Orten bleibt vieles Spekulation. Schließlich erfasst die Statistik nur Fälle, die durch Tests ans Tageslicht kommen. Mehr als 10 000 Abstriche wurden im Kreis bisher genommen. Das ist gemessen an mehr als einer halben Million Bewohnern nicht gerade viel. Die hohe Falldichte entlang der Alb mag derweil erklären, weshalb das Krankenhaus in Nürtingen seit Wochen besonders viele Intensivpatienten zu betreuen hat.

„Wir haben lange mit uns gerungen, ob wir die Zahlen herausgeben sollen“, sagt Peter Keck. Vieles in Bezug auf Corona sei nur eine Momentaufnahme. Die besondere Situation am Albtrauf habe sich in den vergangenen zwei Wochen entwickelt. Keck: „Seit einer Woche ist dieses Bild stabil.“ Dass ein laxerer Umgang mit Kontaktbeschränkungen auf dem Land ein zusätzlicher Grund für die auffälligen Zahlen sein könnte, kommt dem Behördensprecher zwar nicht über die Lippen. Er drückt es anders aus: „Die Zahlen zeigen, dass auch der ländliche Bereich sorgsam mit der Pandemie umgehen sollte.“