Kirchheim

Den Deutschen in die Seele geschaut

Vermächtnis Die Soziologin Jutta Allmendinger stellte in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann ihr Buch „Das Land, in dem wir leben wollen“ vor. Von Katja Eisenhardt

Die Soziologin Jutta Allmendinger in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann.Foto: Katja Eisenhardt
Die Soziologin Jutta Allmendinger in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann.Foto: Katja Eisenhardt

Drei zentrale Fragestellungen bilden den Kern einer 2015 gemeinsam von „infas“ (Institut für angewandte Sozialwissenschaft), dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und der Wochenzeitung „Die Zeit“ konzipierten Studie: „Wie ist es heute?“, „Wie soll es werden?“, „Wie wird es sein?“. Über 3 100 Menschen im Alter von 14 bis 80 Jahren wurden in persönlichen Gesprächen befragt. Thematisiert wurden soziales Leben, Wohnen, Lebensstil, Berufsleben, Besitz, Liebe und Partnerschaft, Ernährung, Gesundheit, Kommunikation und Technik.

„Die neuesten Ergebnisse sind erst wenige Monate alt. 2018 haben wir nochmals 2 070 Personen befragt, 1 900 von ihnen waren bereits 2015 dabei“, erklärte die Soziologin Jutta Allmendinger. Sie ist Präsidentin des WZB und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität. Die Ergebnisse der Studie hat sie in ihrem Buch „Das Land, in dem wir leben wollen - Wie die Deutschen sich ihre Zukunft vorstellen“ zusammengetragen. Ein zentraler Aspekt ist die Frage nach dem Wir-Gefühl. Wie wichtig ist den Deutschen der soziale Zusammenhalt im Hier und Jetzt und in der Zukunft? „Sehr wichtig. Allerdings zeigten die Gespräche, dass viele Menschen davon ausgehen, dass ihnen das gesellschaftliche Miteinander persönlich wichtiger ist als anderen“, erfuhren die zahlreich erschienenen Zuhörer. Das rühre allerdings nicht daher, dass man sich für etwas Besseres hielte. Vielmehr hätten die Leute verlernt, miteinander zu sprechen.

„Sozialer Zusammenhalt braucht immer die Solidarität mit anderen und die Akzeptanz des Fremden. Sind wir bereit, auch uns unbekannte Menschen kennenzulernen? Die Daten zeigen, dass uns diese Bereitschaft über die Zeit verloren gegangen ist. Unsere Untersuchungen ergaben zudem: Viele Menschen wissen gar nicht, dass sie eigentlich ähnliche Vorstellungen, Meinungen und Wünsche haben, wie jene um sie herum“, beobachtet die Soziologin.

Grundsätzlich aber stimme die Tatsache optimistisch, dass die Mehrheit der Menschen im Land immer noch dieselben Werte und Normvorstellungen haben: „Da muss man ansetzen.“ Hier seien Politik und Zivilgesellschaft gefordert. Ein zentraler Punkt: Der immer weiter fortschreitenden Segregation der Gesellschaft - wie man sie etwa in den französischen Banlieus sehe - müsse entschieden entgegengewirkt werden.

Dazu gehöre unter anderem, dass sozialer Wohnraum nicht am Stadtrand, sondern in den Innenstädten angeboten werden müsse, dass es wieder mehr öffentliche Treffpunkte für die Menschen geben sollte, und besonders, dass die massive Bildungsungleichheit verkleinert werde. Sprich: Jeder, egal welcher sozialen Herkunft, müsse die gleichen Chancen auf Bildung, Weiter- und Ausbildung haben, und das so frühzeitig wie möglich. „Davon sind wir noch weit entfernt.“

Einen „überraschend herausragenden Stellenwert“ schrieben die Befragten dem Thema Erwerbstätigkeit zu: „Das ist in der DNS der Deutschen“, brachte es Jutta Allmendinger auf den Punkt. Neben der wirtschaftlichen Sicherheit, spiele die Arbeit zudem als Ort der Begegnung und persönlichen Entwicklung eine wichtige Rolle. „Besonders Frauen sagen hier, das sei für sie ein Stück eigenes Leben und somit noch wichtiger als das damit verbundene Geld.“ Dass sich daran auch zukünftig nichts ändern werde, glauben gut 60 Prozent der Befragten.

Viel direkter angesprochen werden müssten die Menschen bei aktuellen Themen wie der Digitalisierung, so die Soziologin. Hier ergaben die Befragungen, dass sich viele überfordert oder zu uninformiert fühlten. Insgesamt zeige die Studie: Das Land, in dem „wir“ in Zukunft leben wollen, ist dem heutigen sehr ähnlich. Die wichtigsten Wünsche der Menschen sind die nach Gemeinschaft, Gesundheit und Erwerbsarbeit. Danach folgen der Wunsch, das Leben genießen zu können, und der Wunsch nach einem höheren Maß an Informiertheit über Politik und Kultur.

Gleiche Chancen für alle Kinder

Die Vorstellung der Vermächtnisstudie bildete den Auftakt einer Veranstaltungsreihe zum zehnjährigen Bestehen des Bündnisses „Starkes Kirchheim - Allen Kindern eine Chance“. Die Initiative möchte Kindern, die an oder unterhalb der Armutsgrenze leben, die gleichen Chancen auf Bildung und Teilhabe ermöglichen. Anfallende Ausgaben - etwa für Musikschulunterricht, ein regelmäßiges Schulfrühstück oder auch hochwertige Schulmaterialien - werden durch Spenden finanziert. Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker spricht vom besonderen Stellenwert des Kirchheimer Aktionsbündnisses: „Wir sind hier dank des großen Engagements gut aufgestellt.“ In den vergangenen zehn Jahren seien dank des Engagements des Aktionsbündnisses über 440 000 Euro ausgeschüttet worden, so die Oberbürgermeisterin: „Das soll auch in den nächsten Jahren so weitergehen, die Kinder brauchen es.“    eis