Kirchheim

Der Held schlechthin

Ludwig Güttler spielt ein herausragendes Ersatzkonzert in der Martinskirche

Ludwig Güttler kann endlich in Kirchheim glänzen. Das letzte Konzert an selber Stelle musste plötzlich abgebrochen werden. Foto:
Ludwig Güttler kann endlich in Kirchheim glänzen. Das letzte Konzert an selber Stelle musste plötzlich abgebrochen werden. Foto: Johannes Stortz

Kirchheim. Der Held der Arbeit: Friedrich Kircheis. Johann Clemens, ein Held der Anpassung. Der Held schlechthin aber: Ludwig Güttler! So könnte man das Ersatzkonzert am

Samstag in der Martinskirche Kirchheim auf die kürzeste Formel bringen. Der Maestro hatte diese Wiederholung ja seinen Fans versprochen, als er vor fünf Monaten mitten im Konzert abbrechen musste – wegen eines Herpesbläschens auf den Lippen. Die Zuhörer honorierten die noble Geste und kamen auf diese Weise zweimal in den Genuss heroischen Trompetenspiels.

Wenn man Güttler auf der Empore stehen sah, seine strahlenden Klänge aus der Piccolotrompete bewunderte, oder hingerissen war von den schlanken Melodiebögen aus seinem Corno da Caccia, einem Instrument aus der Bach-Zeit, dessen moderne Version er maßgeblich mitentwickelt hatte, dann wirkte er wie ein Denkmal seiner selbst. Ohne seine unbändige Lust am Musizieren müsste ihn die Last seiner Verdienste und seiner Berühmtheit fast erdrücken. Denn was wäre, wenn der hoch gelobte Mann ein gar nicht so berühmtes Trompetenspiel abliefern würde?

So weit ist es allerdings nicht gekommen. Noch immer sind seine Töne schlackenrein, seine Intonation untadelig, seine Verzierungen überzeugend und seine Diminutionen begeisternd, ganz zu schweigen von seinem musikalischen Feuer, das noch ansteckend lodert. Natürlich kommt ihm zugute, dass nachgerade jeder Zuhörer ihn schon lange kennt und schätzt. Diese beglückenden Erfahrungen schwingen mit bei jedem Ton, der ans Ohr dringt, und sie veredeln alles.

Zum Organisten Friedrich Kirch­eis nun: Er ist immer der weitaus meistbeschäftigte Musiker bei Konzerten mit Trompete und Orgel. Während die Bläser ihre Lippen lecken, darf er nicht ruhen, sondern muss mit seinen Solostücken Profil zeigen. Sie sollen ja bloß nicht zu Pausenfüllern verkommen. Kircheis kam zugute, dass er vom letzten Konzert her die Martinsorgel schon gut kennt. Das merkte man deutlich an seinem Präludium, übrigens nicht von Buxtehude, wie im Programm vermerkt war, sondern von Nikolaus Bruhns. Noch mehr fiel es auf bei den fantasievollen Registrierungen mit vielen Manualwechseln bei den ersten Begleitaufgaben. Allerdings war es dann schnell aus mit der Abstufung des Klangs.

So mancher Orgelbrei wurde den Zuhörern da serviert; je länger der Abend, desto lauter und aufdringlicher schrie das Instrument. Soll man das dem armen überbeschäftigten Organisten anlasten? Auf keinen Fall! Denn die Hornklänge die zu begleiten waren, kamen, gelinde gesagt, auch nicht gerade zimperlich daher. Da musste er dagegenhalten, ob er wollte oder nicht, umso mehr, als die eigentlich schlanken Horntöne durch Vibrato zusätzlich dominierten.

Vibrato bei Blechbläsern – früher verpönt, heute nicht mehr wegzudenken. Und fast überflüssig, es überhaupt zu erwähnen: Restlos alle Bläserstücke des Abends stammten aus einer Zeit, die noch lange keine Ventilinstrumente gekannt hatte. Und was können denn die Trompeter dafür, dass es von damals überhaupt keine Stücke für Trompete und Orgel gibt. Sie sind ausschließlich auf Bearbeitungen angewiesen. Ob man dabei aber so weit gehen darf, den berühmten Kantatensatz von Johann Sebastian Bach „Wachet auf ruft uns die Stimme“ so zu spielen, dass die Melodie aus dem Tenor zur Piccolotrompete hochkatapultiert wird und der Organist den original schlanken Orchestersatz mit einer musikalischen Mehlschwitze eindicken muss? Man möchte gar nicht wissen, welcher Arrangeur das verbrochen hat.

Den meisten Zuhörern waren solche Skrupel wohl herzlich egal. Sie konnten sich nicht nur an Güttlers Trompetenstrahl ergötzen, sondern auch am feinsinnigen und musikalisch sorgfältigen Trompetenspiel von Johann Clemens. Dem Konzertagenten aber sei ins Stammbuch geschrieben, dass er, im Blick auf die Kasse, seine Musiker mit dem ewig gleichen Barockgeklingel sträflich unterfordert. Herrje, wie wenn es keine Romantik, weder Jazz noch Pop gäbe! Ludwig Güttler ließe sich bestimmt nicht lumpen.