Kirchheim

Der Sprachverbannung Jammer

Gedenken Zum Jahrestag der Bücherverbrennungen vom Mai 1933 hatte der Kirchheimer Literaturbeirat zu einem literarisch-musikalischen Abend eingeladen. Von Andreas Volz

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Burkhard Engel. Foto: Jean-Luc Jacques

Sprachlos und heimatlos: So fanden sich die meisten deutschsprachigen Schriftsteller wieder - irgendwann zwischen 1933 und 1945. Begonnen hatte alles mit den Bücherverbrennungen, die das nationalsozialistische Regime im Mai 1933 inszenierte. Der Kirchheimer Literaturbeirat erinnert seit mehr als zehn Jahren mit unterschiedlichsten Veranstaltungen an die Bücherverbrennungen - „an den Auftakt der Bevormundung, Diffamierung, Verfolgung, Vertreibung und Ermordung der geistigen Elite Deutschlands“, wie es Renate Treuherz ausdrückte.

Burkhard Engel vom Theater Cantaton rezitierte nun in der Kirchheimer Stadtbücherei „Literatur im Exil“ - gesprochen und gesungen. Er wollte aber nicht nur Texte vorstellen, sondern eine Geschichte erzählen, eine exemplarische Geschichte über das Exil.

Es beginnt mit den kaum richtig zu spürenden, eher perfiden An-         fein dun-gen, die überhaupt erst ein- mal den Entschluss reifen lassen, ins Exil zu gehen: „Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan“, schreibt der österreichische Lyriker Theodor Kramer im gleichnamigen Gedicht und berichtet dann vom ganz normalen Wahnsinn des Alltags in der Diktatur: „Ich darf schon lange in keiner Zeitung schreiben, / die Mutter darf noch in der Wohnung bleiben.“ Am Ende steht dann aber doch die Erkenntnis, dass Bleiben keine Alternative ist: „Ich habe einfach keinen Raum zum Leben.“

Leicht fällt der Abschied nicht, auch wenn er - wie bei Oskar Maria Graf - zunächst eher unbeabsichtigt stattgefunden hatte. Trotzdem hat Graf „mein Heim, meine Arbeit und - was vielleicht am schlimmsten ist - die heimatliche Erde verlassen müssen, um dem Konzentrationslager zu entgehen“. Bei ihm stand anfangs nur die Person auf der schwarzen Liste, nicht aber das Werk. Folglich forderte er im Mai 1933 selbstbewusst: „Verbrennt mich!“

Nach dem Exodus schließlich sammelten sich die Literaten irgendwo im Ausland. Oft lagen die Zufluchtsorte an der französischen Mittelmeerküste, in Nizza oder in Sanary-sur-Mer. Lion Feuchtwanger macht sich da - in einem Brief an Brecht - Gedanken über ein gemeinsames Projekt, ausgerechnet zum Thema „Hermann der Cherusker“. Doch selbst Frankreich wird nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu unsicher. So meldet denn die New York Times am 14. Oktober 1940, dass Franz Werfel und Heinrich Mann mit demselben Schiff in den USA eingetroffen sind.

Im Exil folgt auf den Verlust der Heimat alsbald schon der zusätzliche Verlust der Sprache. „Aber ach, in Deiner stillen Kammer / Spürest Du der Sprachverbannung Jammer“, dichtet Carl Zuckmayer. Ausführlicher analysiert Günther Anders, dass der Exilant wegen der fremden Sprache „dazu verurteilt ist, einige Etagen unterhalb seines eigenen Niveaus mit der Umwelt zu verkehren“. So gerät der Gerettete unversehens in eine neue Gefahr - „in die Gefahr, auf ein niederes Niveau des Sprechens abzusinken und Stammler zu werden“.

Ernst Bloch sieht außer der Gefahr für den einzelnen Sprecher auch die für die gesamte Sprache: „Mit uns ist die deutsche Sprache auf verschiedene Weise in Gefahr. Intra muros et extra ist sie bedroht: In Deutschland droht sie zu ersticken, im Ausland zu erfrieren.“

Im Gegensatz zu Musikern oder Malern sind die Schriftsteller existenziell auf ihre Sprache angewiesen. Max Herrmann-Neiße bringt das auf den Punkt: „Doch hier wird niemand meine Verse lesen, / ist nichts, was meiner Seele Sprache spricht; / ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen, / jetzt ist mein Leben Spuk wie mein Gedicht.“

Manche bereiten dem Spuk ein Ende, indem sie ihrem Leben ein Ende setzen. Stefan Zweig schreibt vor dem Suizid am 22. Februar 1942 im brasilianischen Petropolis keinen Abschiedsbrief, sondern eine „Erklärung“ - wofür er bewusst das portugiesische Wort „Declaracão“ wählt. Sachlich konstatiert er, dass „die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet.“

Am Ende aber sieht selbst Stefan Zweig noch so etwas wie Hoffnung für die ferne Zukunft: „Ich grüsse alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.“