Kirchheim

Der Wille zum Regieren ist ungebrochen

Politik Renata Alt, Bundestagsabgeordnete der FDP, zieht eine erste Bilanz.

Renata Alt
Renata Alt

Kirchheim. Nachdem monatelang Improvisationskunst gefragt war, konnte sich die FDP-Bundestagsabgeordnete Renata Alt vor einem Jahr endgültig an zwei Standorten fest verankern: Sie eröffnete ihr Wahlkreisbüro in der Kirchheimer Osianderstraße 2, kurz davor schon das in Berlin. Dies nahm sie zum Anlass, um über ihre Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Nürtingen zu informieren.

Sie berichtet von der Suche nach geeigneten Mitarbeitern. Die mussten spezielle Kurse durchlaufen, da Renata Alt Zugriff auf sensible Bereiche hat, denn die gebürtige Slowakin und Chemieingenieurin ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, Berichterstatterin für Mittel- und Osteuropa und den Balkan sowie Obfrau im Unterausschuss Zivile Krisenprävention.

Nach einem Jahr mit festen Büro-Bleiben - die einjährige Hotelphase in Berlin ist auch überstanden - ist sie im Politgeschäft und -alltag nicht nur angekommen, sondern mittendrin, ebenso ihre Partei. Kritik übt sie an Bundeskanzlerin Merkel, die versucht habe, die FDP-Neulinge über den Tisch zu ziehen. „Viele in der CDU und CSU, beispielsweise Annegret Kramp-Karrenbauer und Alexander Dobrindt, bereuen mittlerweile, dass man sich uns gegenüber nicht fair verhalten hat. Die damaligen Verhandlungen haben bei uns Spuren hinterlassen. Wir wollten mitregieren“, sagt Renata Alt. Dieser Wille sei ungebrochen, die FDP in der Opposition aktiv. 300 Änderungsanträge bei den Haushaltsberatungen hat die Partei gestellt, und über 800 kleine Anfragen. „Das zeigt, dass wir mitgestalten wollen.“ Weltbeste Bildung in Deutschland ist ihr Ziel, das sei das beste Sozialprogramm.

Weil in den Sitzungswochen andere Termine tabu sind, ist der Kalender in den verbleibenden Wochen mindestens genauso voll. Reisen, reisen und nochmals reisen lautet dann ihre Devise. „Nur bei Gesprächen mit den Menschen vor Ort kann ich mir einen Überblick verschaffen. Ich treffe mich mit Regierungs- und Oppositionsvertretern, Nichtregierungs-Organisationen, Wissenschaftlern und Journalisten. Wichtig sind auch die deutschen Außenhandelskammern“, sagt sie. Bis zum Frühjahr 2020 ist die Politikerin nahezu ausgebucht, denn die Auslandsreisen müssen mit vielen Beteiligten abgesprochen und gründlich geplant werden.

Die EU-Beitrittverhandlungen für Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Albanien laufen teilweise schon. „Aus den Fehlern der EU-Osterweiterung 2004 hat man gelernt. Jetzt werden die schwierigen Kapitel zuerst verhandelt, beispielsweise Justizreform, Menschenrechte, Korruption, Pressefreiheit“, so die Abgeordnete. Diese Länder sind eine Enklave in Europa, im Osten werden sie von den EU-Staaten Rumänien, Bulgarien und Griechenland flankiert. „China nimmt wegen der neuen Seidenstraße dort Einfluss auf die Infrastruktur. Russland hat sich alle Gasvorkommen in Serbien gesichert und Saudi Arabien baut ein komplettes Viertel in der Hauptstadt Belgrad. Mitten in Europa fassen diese Länder Fuß und können destruktiv wirken“, sagt Renata Alt. Krisenherde sind mit Serbien und dem Kosovo direkt vor der Haustüre. „Das ist ein gefährliches Spiel. Sämtliche Grenzverschiebungen endeten bisher in einem Krieg. Das muss unbedingt vermieden werden“, sagt sie und erinnert an die Ukraine, wo immer noch Krieg herrscht. Ende April, zum Zeitpunkt der Stichwahl, ist sie dort. „Jeden Tag wird dort gestorben. Ich setze mich dafür ein, dass die Blauhelme zum Einsatz kommen, dass endlich Frieden herrscht.“

In ihren Zuständigkeitsbereich gehört auch die Visegrád-Gruppe, die aus den Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn besteht. „Das ist unsere verlängerte Werkbank. In Tschechien herrscht Vollbeschäftigung, der Fachkräftemangel war auch dort das wichtigste Thema bei meinen Gesprächen. Die Visegrád-Länder sind für uns als Handelspartner wichtiger als China“, sagt Renata Alt.

Den Wahlkreis verliert sie nicht aus dem Blick. 26 von 29 Bürgermeistern hat sie besucht und dabei immer über das Gleiche gesprochen: Wie gestaltet sich die Integration der Flüchtlinge? Wie agiert die Außenpolitik, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholt?

Ihr Arbeitspensum ist enorm. „Mir macht meine Aufgabe wahnsinnig Spaß, auch wenn einen die Müdigkeit in der Sitzungswoche am Freitag überkommt. Dank Sahra Wagenknecht wurde das jetzt thematisiert“, so die Politikerin. Nach zwei aufreibenden Jahren hat sie sich erstmals fünf Tage am Stück eine Auszeit gegönnt. „Als Kind bin ich in der Hohen Tatra und in den Karpaten gewandert, heute sind es die Alpen. Das Allgäu erinnert mich an meine Heimat, da kann ich auftanken“, verrät Renata Alt. Iris Häfner