Kirchheim. Auch das Opfer kann sich nicht erklären, warum der 32-jährige Angeklagte ihm in der Kirchheimer Unterkunft am 6. Juni dieses Jahres einen wuchtigen Messerstich in den Bauch versetzte. Im Prozess gegen den aus Kamerun stammenden Mann haben die Richter der Stuttgarter Schwurgerichtskammer gestern den damals schwer Verletzten vernommen.
Die Anklage gegen den 32-Jährigen Kameruner lautet auf ein Verbrechen des versuchten Totschlags (wir berichteten). Sein Opfer hatte Glück, denn der wuchtige Stich mit der zehn Zentimeter langen Klinge eines Küchenmessers in den Mittelbauch des Opfers hatte zwar dessen Dünndarm verletzt, war aber nicht lebensbedrohlich, obwohl er sich einer sofortigen Not-Operation unterziehen musste.
Der Zeuge - ebenfalls ein Asylanwärter und Landsmann des Angeklagten - berichtete gestern, dass ihm auch nicht klar sei, warum der 32-Jährige an jenem Junimorgen plötzlich zugestochen habe. Er kenne den Angeklagten und habe mit ihm ein recht gutes Verhältnis gehabt. Der Beschuldigte selbst habe nicht in der Kirchheimer Flüchtlingsunterkunft gelebt, sondern sei dort öfters zu Besuch erschienen. Man habe sich am Abend vor dem Geschehen nach dem Sporttraining noch mit zwei anderen Freunden getroffen und sei dann gemeinsam in eine Shisha-Bar gegangen. Zum Thema Alkohol meinte der Zeuge, er vertrage nicht viel, man habe zwei „Desperados“ und dazu noch einige Champagner getrunken, was bei den Richtern zum Erstaunen führte - Champagner in einer Flüchtlingsunterkunft.
Plötzlich durchgedreht
Dann habe gegen vier Uhr früh der Wirt das Lokal geschlossen und man sei gegen sechs Uhr früh per Taxi in der Kirchheimer Unterkunft gelandet. Die dortige Wohnküche wäre dann schließlich Schauplatz einer Auseinandersetzung gewesen, in deren Verlauf der Angeklagte plötzlich um sich geschlagen und neben anderen Dingen auch den Fernseher auf den Boden geworfen habe. Der Zeuge sagte aus, er habe ihn beruhigen wollen und ihn gefragt, warum er so etwas mache. Er solle sich beherrschen. Dann jedoch habe dieser plötzlich das Messer aus der Theke genommen , ihn mit der einen Hand an der Schulter gepackt und dann wuchtig zugestochen. Der Zeuge simulierte den Stich mit einer entsprechenden Handbewegung. Zuvor jedoch habe man versucht, sich gegenseitig zu umarmen.
In den kommenden beiden Verhandlungstagen wird die gerichtsmedizinische Gutachterin über die möglichen Folgen des Stiches und über die Verletzungen des Opfers berichten. Ein psychiatrischer Sachverständiger soll zudem den Alkoholspiegel von Beschuldigtem und Opfer ermitteln, und dabei feststellen, ob eine Art Tat im Vollrausch vorliegt. Der Prozess ist auf den 3. November vertagt worden. Bernd Winckler