Kirchheim

Die Bahn drückt auf die Tube und kommt noch 2022

Infrastruktur Der Trassen- und Tunnelbau auf der Bahnstrecke Stuttgart-Ulm ist abgeschlossen, jetzt werden die Schienen verlegt. Auch in Kirchheim wird der Baufortschritt nun deutlich schneller. Von Thomas Zapp

Jens Hallfeldt betrachtet das künftige Gleisbett. Die Schienen werden auf der Höhe seiner Position liegen. Foto: Carsten Riedl
Jens Hallfeldt betrachtet das künftige Gleisbett. Die Schienen werden auf der Höhe seiner Position liegen. Foto: Carsten Riedl
Schweres Gerät mit der Teck im Hintergrund: Die Betonmischer im Hintergrund kommen im Tunnel zum Einsatz.  Foto: Carsten Riedl
Schweres Gerät mit der Teck im Hintergrund: Die Betonmischer im Hintergrund kommen im Tunnel zum Einsatz.  Foto: Carsten Riedl

Wo Jens Hallfeldt steht, sollen ab Dezember 2022 Züge mit 250 Stundenkilometern durchrauschen. „Der Termin steht, an dem ist nicht mehr zu rütteln“, sagt der Projektleiter für die Bahnstrecke Stuttgart-Ulm. Er ist zuversichtlich, das Datum einhalten zu können. „Beim Hausbau würde man sagen, der Rohbau ist fertig. Jetzt kommen die Möbel“, sagt der gebürtige Bremer. Aktuell werden auf der Höhe der Bohnau in Kirchheim, am Ostportal des Albvorlandtunnels, die Schienen verlegt. Der Lärm auf der Baustelle stammt nun nicht mehr von den gewaltigen Tunnelvortriebsmaschinen, sondern vom Frontlader, der die 120 Meter langen Langschienen über die Trasse an ihren vorgesehenen Platz zieht.

Auf dem höher liegenden Betonboden liegen bereits die Bahnschwellen. Der Betonfertiger auf dem Mittelstreifen ist schon fast montiert. Er steht bereit, um das Bett aufzufüllen, auf das dann die Schienen ebenerdig gelegt werden. Auf der Plattform des Betonfertigers steuern die Arbeiter in Handarbeit das Auftragen. „Das hat etwas von einer Erntemaschine beim Salatpflücken“, sagt Jens Hallfeldt schmunzelnd. Außerhalb vom Tunnel stehen schon acht extra flache Betonmischer bereit. Die Spezialfahrzeuge können in den Tunnel hineinfahren. In Teilen sieht es schon sehr aufgeräumt aus auf der Baustelle, sichtbar hat das Tempo des Baufortschritts zugenommen: „Beim Tunnel haben wir 200 Meter in der Woche geschafft, jetzt sind es 150 Meter am Tag“, erklärt der Projektleiter.

Die Osteinfahrt des Albvorlandtunnels wird erst im späteren Verlauf „rund“. Im vorderen Bereich sind die Luftschlitze für das „S
Die Osteinfahrt des Albvorlandtunnels wird erst im späteren Verlauf „rund“. Im vorderen Bereich sind die Luftschlitze für das „Sonic-Boom-Bauwerk“ zu erkennen. Foto: Carsten Riedl

Erdbebenartige Erschütterungen zeugen davon, dass Walzen den Boden zwischen Trasse und Autobahn verdichten. Lediglich an der Überführung von der Bohnau über die Autobahn zum Hungerberg klafft noch ein großes Loch, aus dem mehrere Türme ragen. „Das wird damit noch alles zugeschüttet, bis auf die Höhe der Schächte“, erklärt Jens Hallfeldt und zeigt auf die Erdhügel, die auf dieser der Autobahn abgewandten Seite noch eine Art grünes Highland-Panorama bilden. Die dann nur noch minimal sichtbaren Türme bilden ein Sonic-Boom-Bauwerk, aus dem künftig der Schalldruck entweicht, wenn der ICE mit 250 Stundenkilometern unter dem Wirtschaftsweg von Kirchheim nach Dettingen durchrauscht. Zu erkennen ist noch die Bohrpfahlwand zur Sicherung der Baugrube zum Erdwall an der Autobahn, die extra senkrecht gezogen wurde, weil eine Böschung an dieser Stelle nicht möglich war. Grund: Auf diesem Stück wohnen Zauneidechsen, ihr Lebensraum wäre zerstört worden. Und nicht nur dort: Sie sind unter anderem für die Verzögerung von rund zwei Jahren verantwortlich - neben einem archäologischen Fund aus dem 8. und 9. Jahrhundert in Wendlingen.

Der Strom für die Bahntrasse wird über ein eigenes Netz zur Strecke geleitet. Um Platz zu schaffen, wurden in den vergangenen Wochen in Jesingen Strommasten des „normalen Netzes“ umgestellt. Auch das Containerdorf an der Bohnau ist verschwunden, ebenso wie die 200 Container bei Aichelberg. Acht Jahre lang hatte es die Bauüberwachung beherbergt. Die weiße Halle in der Bohnau steht noch: Dort wurden die 55 000 Betonringe, sogenannte Tübbinge, für den Albvorlandtunnel gebaut.

Auf dem 16 Kilometer langen „Planfeststellungsabschnitt 2.1 Albvorland“ zwischen Aichelberg und Wendlingen wird der ICE künftig vier Tunnel und neun Brücken durchqueren, wenn er von Ulm kommend am Westportal des Boßlertunnels auftaucht, sich in einem 1,5 Kilometer langen Teilstück von der Autobahn löst, am Rastplatz „Vor dem Aichelberg“ wieder dem Lauf der Autobahn folgt, anschließend in einen 250 Meter Tunnel eintaucht und dann nach zwei weiteren Kilometern „open Air“ wieder zwischen Jesingen und Nabern in den Albvorlandtunnel abtaucht. Nach 8,2 Kilometern kommt er bei Wendlingen wieder an das Tageslicht und wird für die Strecke knapp vier Minuten benötigt haben.

Zufahrt über Güterbahnstrecke

Bleibt noch die Frage, wie Personenzüge im Dezember 2022 den Betrieb auf der Strecke aufnehmen können, wenn das Projekt „Stutt- gart 21“ laut Planung erst drei Jahre später eröffnet. Antwort: Über die Güterzuganbindung zur Strecke Tübingen - Ulm. Bei Wendlingen führt sie unter der Autobahn entlang und fädelt vor dem Tunnel auf die Strecke nach Ulm ein. Über diese Strecke sind bereits die Langschienen für den Tunnel angeliefert worden.

Für die Kirchheimer ist vor allem eins wichtig: Die letzten Erdbauarbeiten werden in diesem Jahr beendet sein, und im Sommer 2022 sind dann die letzten Container verschwunden. Jens Hallfeldt fürchtet trotz Corona keine weiteren Verzögerungen. Aber einen Wermutstropfen gibt es doch: „Feiern können wir den Baufortschritt auf der Baustelle nicht, das geht nicht mehr.“

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