Kirchheim

„Die Bahnlinie gibt es nur wegen der Papierfabrik“

Bahn Die Teckbahn wird schneller, komfortabler und barrierefrei. Doch die Bahn sorgt auch für schlechte Schlagzeilen: Sie droht, den Güterverkehr einzustellen. Von Peter Dietrich

Gütertransport auf der Schiene oder auf der Straße? Hier das Gleis bei der Firma Schrott-Bosch.Foto: Peter Dietrich
Gütertransport auf der Schiene oder auf der Straße? Hier das Gleis bei der Firma Schrott-Bosch.Foto: Peter Dietrich

Jedes Jahr recycelt die Firma Schrott-Bosch in Dettingen rund 60 000 Tonnen Schrott. Ein großer Teil wird mit dem Lastwagen zum zweiten Werk im Plochinger Hafen gebracht und aufs Schiff umgeladen. Doch ein Teil reist per Bahn, etwa zu den Stahlwerken zum Einschmelzen. Vor einiger Zeit bekamen die via Schiene belieferten Schrott-Bosch-Kunden Post von der Bahn: Wegen einer Insolvenz gebe es ab Oktober keine Bahnverladung mehr.

Diese Schreiben ist doppelt bemerkenswert: Zum einen bezog sich die Insolvenz nicht auf Schrott-Bosch, sondern auf die Papierfabrik Scheufelen in Oberlenningen, was aber nur Ortskundigen klar war. Andere konnten denken, Schrott-Bosch sei insolvent. Zum anderen hat die Bahn dieses Schreiben bereits versandt, als bei Schrott-Bosch noch gar keine Kündigung der Verträge vorlag.

Diese Kündigung kam kurz darauf, zum 30. September 2018. Weil der Hauptkunde Scheufelen wegfiel - er hatte bisher zwei Güterzüge täglich bekommen - und Schrott-Bosch bisher quasi als „Beifang“ mitbedient wurde, war der Güterverkehr für die Bahn nicht mehr wirtschaftlich. Schließlich kommt die Lok beim Bringen der Wagen nun extra von Plochingen und fährt dann leer zurück. Beim Abholen kommt sie ebenfalls leer.

Das gehe nur, schrieb die Bahn, wenn Schrott-Bosch die kompletten Kosten für Lok und Personal übernehme. „Das wären jedes Mal 500 Euro on top gewesen“, sagt Marcel Schuler, Geschäftsführer von Schrott-Bosch. Später ging die Bahn auf die Hälfte runter. Weil die Firma Scheufelen neu startet, kündigte die Bahn aber inzwischen eine neue Wirtschaftlichkeitsbetrachtung an. Bis zum Fahrplanwechsel am 8./9. Dezember bleibe alles beim Alten, eine Gnadenfrist.

Früher hat die Firma Schrott-Bosch am Dettinger Bahnhof verladen. 1974 wurde das Anschlussgleis zur Firma gebaut, 2009/2010 wurde es mit der gesamten Strecke renoviert. Schrott-Bosch hätte die Weiche kaufen können, entschied sich aber für das Mietmodell. So werden pro Jahr rund 4 000 Euro fällig - ohne dass ein einziger Wagen bereitgestellt wird.

Zu wenig Personal und Waggons

Noch vor weniger als zehn Jahren wurden mehr als 300 Eisenbahnwagen pro Jahr in Dettingen beladen, heute sind es unter 100. Ein Grund ist, dass immer weniger Abnehmer einen Bahnanschluss haben. Ein anderer: Die Bahn hat neben zu wenig Personal auch zu wenige Waggons. Jeder fasst gut 50 Tonnen und damit etwa doppelt so viel wie ein Lkw. Ein Schiff fasst noch viel mehr, 800 bis 1 800 Tonnen, bringt aber auch ein Ausfallrisiko mit sich, etwa bei Niedrigwasser, Hochwasser oder Eis. Auf die Straße will das Unternehmen Schrott-Bosch, das zehn eigene Lkw unterhält, am liebsten nur für die „letzte Meile“, also im Umkreis von 20 bis 50 Kilometern. Auch nach dem nächsten Fahrplanwechsel.

Muss es eigentlich immer die Deutsche Bahn AG sein? „Wir prüfen parallel natürlich die Möglichkeiten der privaten Betreiber“, sagt Marcel Schuler. Bisher habe es aber „noch keine guten Angebote“ gegeben. „Unser großer Nachteil ist leider, dass derzeit außer uns niemand auf dem Gleisabschnittsbereich Wendlingen - Oberlenningen Güter via Schiene umschlägt und unsere Mengen nicht für eine volle Auslastung der Rangierer taugen.“

Einziger weiterer Kunde ist die Papierfabrik Scheufelen. Für deren Geschäftsführer Stefan Radlmayr ist die Lage klar: „Ohne Bahnverkehr gibt es keine Papierfabrik, sie ist sonst nicht zu halten.“ Er erinnert an die Geschichte der Teckbahn: „Die Bahnlinie gibt es nur wegen der Papierfabrik.“ Nach dem Neustart seien die Mengen am Anfang zwar geringer, doch sie würden mittelfristig steigen.

„Wir leiden im Lenninger Tal“

Hartmut Jaißle
Hartmut Jaißle

Hartmut Jaißle von der Nahverkehrsberatung Südwest wohnt an der Teckbahn und hofft auf die „neue“ Firma Scheufelen. Er kritisiert die Bahn, indem er auf ein anderes Beispiel verweist: „Die DB hat vor Jahren entlang der Zollernbahn Tübingen - Sigmaringen den Güterverkehrskunden ohne Vorwarnung gekündigt. Mit der Hohenzollerischen Landesbahn wurde nicht gesprochen.“ Diese habe jedoch letztlich das Geschäft übernommen und ausgebaut. Dem privaten Bahnverkehr gilt Jaißles Verweis, etwa im Plochinger Hafen. „Dringend müsste man das Geschäft sehr viel aktiver betreiben: Kirchheim mit seinen Betrieben hat keinerlei Güterverkehr auf der Schiene!“ Dies sei letztlich Folge einer völlig verfehlten Verkehrspolitik: „Seit Jahrzehnten erzählt uns die Politik, egal welcher Couleur, dass mehr Güter auf die Schiene sollen. Das politische Handeln geht aber konsequent in die entgegengesetzte Richtung, siehe jüngst die Gigaliner und die Versuche mit für Lkw elektrifizierten Autobahnen. Der Lobbyarbeit der Allianz aus Speditionen, Auto- und Lkw-Herstellern, ADAC, Mineralölindustrie und Baugewerbe steht auf der Seite des Schienenverkehrs außer der Vernunft und einer Handvoll Bahnfreunden nichts entgegen.“

Die massiven Folgen müssen die Anwohner ertragen: „Aktuell leiden wir im Lenninger Tal unter im Minutentakt verkehrenden Lastwagen der ICE-Tunnelbaustelle. Über Jahre wurde immer versprochen, für den Abtransport des Abraums und das Baumaterial das Weilheimer Gleis zu nutzen, das bis Holzmaden leicht hätte hergerichtet werden können. Nachdem es nun soweit war, war davon keine Rede mehr. Betriebswirtschaftlich mag das besser sein, doch volkswirtschaftlich niemals: Die kaputten Straßen zahlt die Allgemeinheit.“pd