Kirchheim

Die „Goldene Gans“ setzt Zeichen

Aufführung Die Ära der Kirchheimer Ballettschule Dagmar Lincke geht mit einem gewaltigen Bühnen-Feuerwerk in der Stadthalle zu Ende. Von Jörg Dobmeier

Die Vielfalt der Figuren ergab dennoch ein stimmiges Miteinander und ein dramaturgisch schön geführtes Tanztheater im besten Sin
Die Vielfalt der Figuren ergab dennoch ein stimmiges Miteinander und ein dramaturgisch schön geführtes Tanztheater im besten Sinne.Fotos: Mirko Lehnen

Die Verbindung von klassischem Tanz und Musik hat eine starke Tradition in Kirchheim: Auf die Maßstäbe setzende und absolut richtungsweisende Ballettschule Habermann folgte die Ära der Schule Dagmar Lincke. Sie ging nun mit einem wahren Bühnen-Feuerwerk zu Ende. Mit der Aufführung der „Goldenen Gans“ setzte sie zum Abschied zugleich Zeichen.

In Zusammenarbeit mit der Musikschule Kirchheim entstand ein gewaltiges Kooperationsprojekt mit hohem Anspruch. Weit über 100 Tänzer gestalteten unter der Leitung von Dagmar Lincke ein Tanzmärchen nach Jakob Grimms „Goldener Gans“. Die Musik dazu komponierte Bertram Schattel und richtete es für großes Orchester ein.

Die Aufführung dauerte 90 Minuten. Das alleine ist schon eine gewaltige Arbeit mit einem immensen Fleißeinsatz, ebenso die Umsetzung in ein Ballett, das eine durchlaufende und dramaturgisch schlüssige Choreografie erfordert. Dazu kommt die Aufgabe, möglichst alle Schüler der Ballettschule einzubinden, die die Anforderungen erfüllen können. Alles „natürlich“ und so „selbstverständlich“ wie möglich, noch dazu in Doppelbesetzung.

Wer das Grimmsche Märchen die „Goldene Gans“ nochmals gelesen hatte, war zunächst irritiert ob des abweichenden Inhalts und mangels eines im Programmheft abgedruckten Plotts vielleicht sogar etwas ratlos in Bezug auf die handelnden, tanzenden Personen des Stücks. Doch legte sich die Irritation bald durch die sehr schön dargestellten Charaktere der Hauptpersonen. So war der Besucher schnell vertraut mit dem König (Lilli Eckert und Annemarie Schlieper), der Prinzessin (Henriette Schober und Jasmin Hülz), der Tante (Carmen Mendetzki), dem Lächelmeister (Valentin Pavier und Marlen Rögner), den Brüdern (Emilie Gubo, Lisa Spielvogel, Paula Prell und Ajana Windisch), dem grauen Männchen (Jasmin Hülz und Henriette Schober) und natürlich dem Dummling (Cosima Schober und Lea Treutner) sowie der Titelperson des Märchens - der „Goldenen Gans“ (Lena Göser und Rovena Matturi). Die geradezu atemberaubende Vielfalt der Figuren ergab dennoch ein stimmiges Miteinander und ein dramaturgisch schön geführtes Tanztheater im besten Sinne. So wurde der Zuschauer in das neu erzählte Märchen von der „Goldenen Gans“ hineingezogen und blieb haften, wie auch alle agierenden, tanzenden Personen, die der „gänslichen“ Verlockung des Reichtums erlagen und unverhofft und unheilvoll am Golde hängen blieben - ein zeitloser und immer aktueller Stoff.

Originelle und lustige Einfälle überschlugen sich geradezu, sei es die bewegte Kutsche, der bewegte Wald, das bewegte Korn- und Mohnfeld, der bewegende Sturm, seien es Hase und Igel, die Vogelparty, die Clowns und, und, und.

Dabei fiel keine der Gruppierungen tänzerisch „aus der Rolle“: alle Kinder, auch die allerkleins­ten, waren präsent. Man müsste das Programmheft vollständig abschreiben, um wirklich allen gerecht zu werden, die den farbeGfrohen Szenerien tänzerisches Leben gaben. Sogar der Spitzentanz fand treffend seinen Platz in einer dadurch fast parodistisch anmutenden Sektbecher-Szene. Wie wunderbar humorvoll war das empfunden.

Es verbietet sich, tänzerische Einzelleistungen hervorzuheben, wenngleich die komödiantische Sonderklasse der überkandidelten „Tante“ (Carmen Mendetzki) nicht verschwiegen werden soll. Das war ein Fest für die Augen und ein begeisterndes Plädoyer für gelebtes Tanztheater! Chapeau!

Natürlich braucht es die Musik, die alles begründet, führt und illustriert - ein Herz, das immer schlägt. Dem Komponisten Bertram Schattel ist es gelungen, mit einer farbenreichen Orchestrierung und immer wieder neuen, schönen melodischen Einfällen die Geschichte zur „Goldenen Gans“ musikalisch „zu erzählen“ und den Hörer über die ganze Strecke des Werks zu erfreuen. Sinnfällige, witzige musikalische Zitate tun das Ihrige dazu und lockern die Dichte der Komposition auf. Inhaltliche Details sind wunderbar auskomponiert, und selbst die Schluss-Präsentation der Mitwirkenden folgt einem musikalischen Konzept. Dennoch lässt die Musik auch Luft für Pausen und für Szenenapplaus - eine große Arbeit, ein großes Werk!

Schüler und Lehrer des Musikschul-Orchesters folgten dem Dirigat des Komponisten konzentriert und zauberten vollen sinfonischen Klang in die Stadthalle. Dabei agierte der Tontechniker unauffällig und zuverlässig. Am Ende der letzten der vier Aufführungen gab es Standing Ovations. Der Applaus mag allen Mitwirkenden noch lange in den Herzen klingen und eine neue Zukunft heraufbeschwören.

Farbenfrohe Szenerien gehörten zur „goldenen Gans“.
Farbenfrohe Szenerien gehörten zur „goldenen Gans“.
Aufführung der "Goldenen Gans", Gemeinschaftsprojekt der Musikschule und der Ballettschule Lincke in der ausverkauften Stadthall
Aufführung der "Goldenen Gans", Gemeinschaftsprojekt der Musikschule und der Ballettschule Lincke in der ausverkauften Stadthalle
Aufführung der "Goldenen Gans", Gemeinschaftsprojekt der Musikschule und der Ballettschule Lincke in der ausverkauften Stadthall
Aufführung der "Goldenen Gans", Gemeinschaftsprojekt der Musikschule und der Ballettschule Lincke in der ausverkauften Stadthalle