Kirchheim

Die Kunst hilft beim Ankommen

Projekt Zum Abschluss der Aktion „Ich packe meinen Koffer – für ein Leben in Deutschland“ stellen geflüchtete Frauen und Kinder ihre Kunstwerke im Kirchheimer Mehrgenerationenhaus Linde vor. Von Monika Läufle

Aryana, Anita und Hanim (von links) stellen ihre Gemälde und Koffer vor. Foto: Monika Läufle
Aryana, Anita und Hanim (von links) stellen ihre Gemälde und Koffer vor. Foto: Monika Läufle

Wer auf der Flucht ist, muss seine Koffer packen. Der hat keine Wahl, was er hineinlegt. Er muss das in den Koffer packen, was überlebensnotwendig ist. Wer hingegen seinen Koffer packen „darf“, kann entscheiden, was hinein soll. Mit dem Kunstprojekt „Ich packe meinen Koffer - für ein Leben in Deutschland“ sollen die Frauen und ihre Kinder die Möglichkeit bekommen, zurückzuschauen, zu reflektieren und ihre Koffer neu zu packen. Jetzt dürfen auch Sachen in den Koffer, die nicht überlebensnotwendig, aber schön sind. Wer packen „darf“, der darf auch Talente, Stärken und eine eigene Identität einpacken und mitbringen, von der die neue Heimat profitieren kann. All das sollen die kleinen Spielzeugkoffer symbolisieren, die die Frauen und Kinder bemalt haben.

Zwei Monate lief das Projekt. In der Zeit trafen sich fünf Familien einmal die Woche und malten und werkelten drei bis vier Stunden lang. Vor einem Jahr hatte Kers­tin Starkert, die zusammen mit Julia Einsele das Projekt initiierte, bereits das Kunstprojekt „Resonanz“ für geflüchtete Männer angeboten. Dieses Jahr richtete sie sich an Frauen und ihre Kinder.

Den Kunsttherapeutinnen war wichtig, den Frauen Raum zum Durchatmen zu geben. Während die Frauen und Teenager mit Kers­tin Starkert malten, ging Julia Einsele mit den Kindern in den Raum nebenan. „Kinder gehen viel unbedarfter an die Kunst“, erklärt sie. Während die Drei- bis Elfjährigen unter anderem mit Ton werkelten, machten sich die Frauen und Jugendlichen oft erst Kaffee oder Tee. Das Projekt gab ihnen die Möglichkeit, in Ruhe zu reden und die eine oder andere Träne fließen zu lassen, bevor sie sich langsam und ohne Druck an die Kunst wagten und das umsetzen konnten, was sie beschäftigte.

Mitgemacht haben die Schwes­tern Aryana und Anita. Den Teen­agern gefiel das Zeichnen so gut, dass ihnen ermöglicht wurde, ein zweites Mal in der Woche zum Zeichenunterricht zu gehen. Neben den entstandenen Porträts bemalte jede der beiden einen Koffer. Die 16-jährige Aryana hat die Außenseite ihres Koffers in einem neutralen Weiß bemalt. Öffnet man ihn, blickt man in eine Galaxie und eine mit knalligen Farben bemalte Erde. „Durch die Dunkelheit dieser Galaxie stechen die Farben deiner Welt heraus“, hat sie als Erklärung dazugeschrieben. Ihre 15-jährige Schwester hat sich den Titel ihres Lieblings­albums „Hope World“ herausgesucht und auf ihren Koffer geschrieben. Sie hat sich überlegt, was ihr Freude macht, und das ist die Musik. Ihr kleiner Bruder, der vierjährige Hoschang, hat seinen Koffer rot angemalt. Rot, weil die Farbe sowohl auf der afghanischen als auch auf der deutschen Flagge vorkommt. Ein anderer Junge war vom deutschen Lebkuchenhaus des Märchens „Hänsel und Gretel“ so angetan, dass er es aus Ton nachtöpferte. Eine Frau ließ sich Stoff aus ihrer alten Heimat schicken und fertigte daraus Blumen.

Info Das Geld für das Projekt kommt vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Damit wurden dieses Jahr alleine in Kirchheim 18 Aktionen ermöglicht, darunter Vorträge und Musikprojekte. Tobias Sender vom Mehrgenerationenhaus Linde entscheidet darüber, welche Projekte genehmigt werden. Er freut sich, dass das Projekt zustande kam. „Um hier anzukommen, ist es wichtig, den Kopf für Reflexion frei zu haben“, sagt Tobias Sender und ist sich sicher: Die Beschäftigung mit der Kunst liefert dazu eine gute Möglichkeit.