Was ein kleiner Perspektivwechsel so ausmacht: Der erhöhte Blick vom extra aufgebauten Hochsitzle bringt nicht nur den Überblick auf das wogende gelbe Blütenmeer, sondern führt einem das vielfältige Leben auf dem Blüh-Acker vor Augen. Unzählige Bienen laben sich an der „Durchwachsenen Silphie“, auch einige Schmetterlinge freuen sich über den üppig gedeckten Nektar-Tisch im September, wo die Nahrung für Insekten immer spärlicher wird.
Das Feld gehört Hans Ederle aus Bissingen. Er hat das Experiment mit der neuen Energiepflanze gewagt. Die schöne Silphie will dem spröden Mais den Rang in den Biogasanlagen ablaufen. Vieles spricht für die aus Nordamerika stammende Pflanze, die der Familie der Korbblütler angehört. Sie kann bis zu drei Meter hoch werden und trägt gleich auf mehreren Etagen gelbe Blüten, was nicht nur das Auge des Betrachters erfreut, sondern vor allem Insekten auf Nahrungssuche. Außerdem wird die Staude mindestens 15 Jahre alt, weshalb eine jährliche Aussaat wie beim Mais entfällt. „Meine Schwester hat schon seit 30 Jahren eine Silphie in ihrem Bibelgarten auf der Bissinger Viehweide. Die ist richtig groß“, sagt Hans Ederle.
Ist die Staude nach zwei oder drei Jahren gut angewachsen, ist der Boden bedeckt, und die Kultur bedarf keiner Bodenbearbeitung mehr. Das hat weitere Vorteile: Im Boden herrscht Leben mit Regenwurm und weiteren Organismen, bei Starkregen wird im Gegensatz zu den Maisreihen keine Erde weggeschwemmt, und Humus wird aufgebaut. Zudem sind keine Pflanzenschutzmaßnahmen mit Herbiziden nötig.
Hans Ederle hat im vergangenen Jahr die Silphie-Samen zwischen Maisreihen aussäen lassen. 2000 Euro hat er an die Metzler & Brodmann Saaten GmbH gezahlt, die unter dem Namen „Donau-Silphie“ bekannt ist. Die hat auch den kleinen Hochsitz mitsamt den Infotafeln direkt neben dem Feldweg aufgestellt. Die damalige Hauptkultur Mais hat Hans Ederle wie üblich geerntet, die Silphie-Pflänzchen mussten 2018 aber erst Wurzeln und erste Blattrosetten bilden. Heuer steht die erste Ernte auf den zwei Äckern an. „Ob wir das wirtschaftlich durchhalten, wissen wir nicht, es ist ein Versuch. Ein bissle Pioniergeist muss man bei diesem Projekt haben - man muss rumprobieren“, sagt der experimentierfreudige Landwirt. Das hat für ihn und seine Familie auch mit einer vielfältigen Landschaft zu tun. „Die haben wir hier. Unsere Felder sind nicht vermaist, wir haben den Streuobstgürtel mit seinen Wiesen, die Viehweide und die Waldhänge“, zählt er auf. Deshalb sieht er die Bauern in und um Bissingen nicht als die Schuldigen für den Artenrückgang an. „Das hat nichts mit unserer Landwirtschaft zu tun. Wir verwenden seit Jahren keine Insektizide mehr“, sagt er über seinen Betrieb. Für ihn stellt sich die Frage, wie gern die Biogasanlagen-Betreiber Silphie übernehmen. „Sie ist keine Futterpflanze, macht dafür aber die Landschaft bunter und gilt als Bienenweide“, erklärt Hans Ederle. Allerdings hapert es im Vergleich mit dem Ertrag. „Wenn man zwei Drittel der Maismenge erntet, muss man zufrieden sein“, ist er sich bewusst. Die Ernte funktioniert wie beim Mais. Der Feldhäcksler kappt die Stiele in einer Höhe von etwa 10 bis 15 Zentimetern, schreddert und bläst die zerstückelte Pflanze in einen nebenherfahrenden Wagen. Die Bissinger Silphie kommt in die Biogasanlage in Schlierbach. „Der Biogaser übernimmt das Feld stehend“, sagt Hans Ederle.