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Eine Moschee für Unterensingen?

Bauvoranfrage Die Ahmadiyya Muslim Jamaat interessiert sich für das Gebäude der „Silberdistel“. Der Gemeinderat beschließt einstimmig, die Antwort zu vertagen, bis offene Fragen geklärt sind. Von Barbara Gosson

Eine Moscheegemeinde interessiert sich für das Gebäude der „Silberdistel“ und hat deshalb eine Voranfrage an die Gemeinde gestellt. Die Visualisierung zeigt, wie die Gemeinde das Gebäude umbauen möchte. Foto: Ahmadiyya Muslim Jamaat

Kaum eine Bauvoranfrage hat in Unterensingen jemals so viel Aufsehen erregt, wie jene der Ahmadiyya Muslim Jamaat, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Hauptsitz in Frankfurt (Main). Die islamische Reformgemeinde interessiert sich für das Gebäude der „Silberdistel“ an der Kelterstraße. Das sorgte für viel Gesprächsstoff. Bekommt Unterensingen wirklich eine Moschee?

Zunächst handelt es sich nur um eine Anfrage. Die Moscheegemeinde möchte wissen, ob die Umnutzung des Wohn- und Geschäftshauses in eine Moschee für 85 Personen mit Verwalterwohnung planungsrechtlich zulässig ist. Weiter wird die Unterensinger Verwaltung gefragt, ob ein Fassadenelement bis zur Höhe des Firsts angebracht werden darf, um das Gebäude als Sakralbau kenntlich zu machen und ob die Bauaufsicht dieser Planung stattgeben wird.

 

„Wir haben uns im Sinne des Gemeinwohls sehr intensiv mit dem Vorhaben befasst.
Sighard Friz, Bürgermeister in Unterensingen

Es gibt sehr genaue Vorstellungen, wie und wann die Räume genutzt werden sollen, wie in der umfangreichen Sitzungsvorlage mit Plänen und Visualisierungen dargestellt wird. Die Gemeindemitglieder stammen laut der Beschreibung meistens aus Nürtingen und von den Fildern. Sie möchten sich zum täglichen Gebet und sonstigen Zusammenkünften treffen. In der Verwalterwohnung soll ein Imam als ständiger Ansprechpartner für die Gemeindemitglieder leben. Dieser solle auch verwalterische und hausmeisterliche Tätigkeiten übernehmen.

In der Sitzungsvorlage sind erste Anmerkungen zu den Fragen der Moscheegemeinde zu finden. Der geltende Bebauungsplan „Obere Au“ schließe Anlagen für kirchliche und kulturelle Zwecke nicht explizit aus. Anders sieht es nach Auffassung der Verwaltung mit der Wohnung aus: Nicht jeder darf im Gewerbegebiet wohnen. Der Imam sei keine Aufsichtsperson eines Gewerbebetriebes und daher nicht privilegiert. Außerdem hält die Verwaltung für fraglich, ob sich das geschwungene Fassadenelement in die Umgebungsbebauung einfügt.

Um zu sehen, wie der Gemeinderat diese Bauvoranfrage beantwortet, waren viele Zuschauer in den Bürgertreff gekommen. Deshalb wurde der Tagesordnungspunkt vorgezogen und gleich zu Beginn der Sitzung behandelt. Bürgermeister Sieghart Friz erläuterte, dass das Vorhaben im Technischen Ausschuss intensiv vorberaten wurde. Dabei hatte der Ausschuss einstimmig beschlossen, die Voranfrage zu vertagen, da noch erheblicher Klärungsbedarf mit dem Esslinger Landratsamt als Baurechtsbehörde für Unterensingen bestehe.

„Wir haben uns im Sinne des Gemeinwohls sehr intensiv mit dem Vorhaben befasst“, so Friz. Unabhängig davon, ob auf dem Grundstück eine Moschee geplant sei, wolle die Gemeinde verantwortungsvoll mit den letzten Grundstücken im Gewerbegebiet umgehen. Angesichts ihrer finanziellen Lage wünsche die Gemeinde dort Nutzungen, die Arbeitsplätze schaffen und Gewerbesteuer einbringen. Dafür gelte es, eine gute Strategie zu finden.

Der Gemeinderat schloss sich dem Technischen Ausschuss einstimmig an: Die Bauvoranfrage wird vertagt, bis die noch offenen Fragen geklärt sind. Dann kommt sie erneut auf die Tagesordnung des Gemeinderates.

Mohammad Dawood Majoka ist Pressesprecher der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland. Er erläutert Näheres zum Vorhaben. Die Gemeinschaft wächst und ist auf der Suche nach Gebäuden oder Grundstücken, die für Moscheen geeignet sind. Bevor ein Gebäude oder ein Grundstück gekauft werde, sei es üblich, bei der Kommune eine Bauvoranfrage zu stellen. Damit möchte die Moscheegemeinde sicherstellen, dass sie die Häuser oder Grundstücke so nutzen kann, wie sie möchte.

Wer will die Moschee bauen?

Laut der Bundeszentrale für politische Bildung handelt es sich bei der Ahmadiyya Muslim Jamaat um eine muslimische Reformbewegung, die 1889 im heutigen Pakistan von Mirza Ghulam Ahmad gegründet wurde. Ein Teil seiner Anhängerschaft hält ihn für einen Propheten. Dies führte dazu, dass die pakistanische Regierung ab 1974 Gesetze zur Ausgrenzung der Ahmadiyya erließ. Seit 1984 ist es den Ahmadis in Pakistan unter Strafandrohung untersagt, sich selbst als Muslime zu bezeichnen. Zudem wurden die Ahmadis von der Liga der islamischen Welt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen. Sie haben deshalb kein Recht auf ein Visum für Saudi-Arabien und können, da sie gesetzlich nicht als Muslime gelten, nicht an der Pilgerfahrt nach Mekka teilnehmen.

Wegen der Verfolgung aus Glaubensgründen leben viele Ahmadiyya-Anhänger in Deutschland, nach eigenen Angaben etwa 40 000. Die Glaubensgemeinschaft betreibt hierzulande 55 Moscheen und zahlreiche Gebetszentren, darunter die 1923 in Berlin gegründete Wilmersdorfer Moschee, die älteste Moschee Deutschlands.Das geistliche Oberhaupt ist der Kalif Hazrat Mirza Masroor Ahmad V, der zurzeit in London residiert. Der Vorsitzende der Gemeinde in Deutschland ist Abdullah Uwe Wagishauser.

Ziel der Ahmadis ist die Verbreitung eines reformierten Islams mit friedlichen Mitteln. Die Zahl ihrer Anhänger beläuft sich auf etwa eine Million weltweit. Die Hälfte von ihnen lebt auf dem indischen Subkontinent. Weitere bedeutende Gemeinden finden sich in Indonesien sowie in West- und Ostafrika. bg