Junge Zeitung

Es muss nicht immer Verkäuferin sein

160 Mädchen probieren im Jugenddorf Hohenreisach Handwerksberufe aus

Erst mal schauen, wie es geht: Mädchen machen sich über Metallbearbeitung schlau.Foto: Jean-Luc Jacques
Erst mal schauen, wie es geht: Mädchen machen sich über Metallbearbeitung schlau.Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Anlagenbauerin ist nicht gerade ein typischer Frauenberuf, aber Sabrina Iannotta gefällt er. „Vor allem weil er so abwechslungsreich ist“, sagt sie. Die 19-Jährige ist im dritten Lehrjahr und an diesem

Donnerstag stellt sie ihren Beruf beim Mädchenhandwerkstag im Jugenddorf Hohenreisach vor. Hierher hat die Jugendagentur Mädchen zwischen 11 und 16 Jahren eingeladen, damit sie Handwerksberufe kennenlernen und selbst ausprobieren können. 160 Mädchen sind der Einladung gefolgt und wuseln über das große Gelände.

Wer hier engagiert dabei ist und selber anpackt, kann daheim stolz handgefertigte Kleinode vorzeigen: Die Mädchen schneiden einen kleinen Spiegel zu und schmirgeln die Kanten glatt (Glas- und Fensterbau), bepflanzen ein Körbchen mit Stiefmütterchen (Gärtnerei), feilen einen Metallwürfel zurecht (Metallwerkstatt), stellen ein hölzernes Schmuckstück her (Holzwerkstatt) und malen ein Schild (Maler und Anstreicher).

Manche traut sich sogar, das Schweißgerät in die Hand zu nehmen und zwei kleine Metallplatten zusammenzuschweißen – so entsteht ein extrem ungewöhnliches Muttertagsgeschenk. Nicht mitnehmen lassen sich die Steine, die beim Landschaftsgärtner zum Weg gelegt werden konnten, dafür aber die Erfahrung, was für ein Knochenjob das ist. Eifrig versuchen die Mädchen in den verschiedenen Werkstätten mit den oft ungewohnten Materialien und Werkzeugen zurechtzukommen. Rohieney malt gerade ein Schild. „Freunde kommen und gehen, doch nur die wahren bleiben“, hat sie darauf geschrieben. Das macht der 14-Jährigen von der Teckschule in Dettingen zwar Spaß, aber einen Handwerksberuf will sie nicht lernen. „Ich möchte eher in Richtung Wirtschaft und Informatik gehen.“

Vor Sabrina Iannotta stehen drei Mädchen und lassen sich erzählen, was eine Anlagenbauerin, Richtung Heizung und Sanitär, so alles lernen muss. Sie erzählt, warum sie diese Ausbildung gewählt hat: „Man ist jeden Tag bei Kunden, ist auf Dächern, im Keller, in Wohnungen, sitzt nicht den ganzen Tag im Büro, und genau das gefällt mir.“ Die Ausbildung könne sie nur empfehlen: „Außerdem hat der Beruf Zukunft.“ Die zuschauenden Mädels wirken nicht überzeugt, auch beim Schweißen legen sie keinerlei Begeisterung an den Tag. Das Schweißgerät selbst einmal ausprobieren will Anna nicht. 14 Jahre ist sie alt, geht auf die Konrad-Widerholt-­Schule in Kirchheim und will mal Verkäuferin werden. „Weil mir das Spaß macht, Kleider aufhängen und so.“ Ein Handwerksberuf kommt für sie nicht infrage. Denn: „Das ist eher was für Jungs.“

Genau diese Haltung wollen die Veranstalter – Jugendagentur, IHK Region Stuttgart, Kreishandwerkerschaft Esslingen-Nürtingen, Arbeitsagentur Kirchheim und das CJD – durchbrechen. Zum einen werden wegen sinkender Schülerzahlen Azubis knapp, und deshalb sind auch typische Männerbranchen inzwischen weiblichen Bewerberinnen gegenüber aufgeschlossen. Zum anderen bietet das Handwerk eine breite Palette an Berufen, die viele Mädchen gar nicht kennen. „Wir haben extra ab der sechsten Klasse eingeladen“, berichtet Birgit Häbich-Kampourakis von der Jugendagentur. „Da sind die Kinder noch sehr offen für Neues.“ Wichtig war zudem, dass die Mädchen nicht nur durch einen Betrieb geführt werden und zuhören müssen, sondern selber anpacken können, ergänzt Inge Starzmann vom CJD.

Schirmherrin der Veranstaltung war in diesem Jahr die Chefin des Bundes der Selbständigen Kirchheim, Bettina Schmauder. „Ich weiß von vielen Handwerkern, dass sie gerne weiblichen Nachwuchs hätten“, sagt sie. „Nicht nur wegen des demografischen Wandels, sondern auch weil sich die Anforderungen gewandelt haben, soziale Kompetenzen wichtiger geworden sind.“ In ihrer Firma Auto-Schmauder werde nun eine junge Frau zur Kfz-Mechatronikerin ausgebildet. „Gleich ist der Ton in der Werkstatt ein anderer.“

Finanziert wurde der Mädchenhandwerkertag mit Zuschüssen vom Europäischen Sozialfonds, dem Land und der Jugendagentur, sagt Häbich-Kampourakis. Dazu kommen freiwillige Helfer, die zum Beispiel den Shuttle-Service vom Bahnhof zum Jugenddorf organisieren oder den Essensverkauf. Am Ende des langen Vormittages sind alle Blumenkörbchen bepflanzt und alle Schilder bemalt, und im Garten nimmt nun manches Mädchen Lippenstift oder Kajalstift in die Hand, um sich mithilfe des selbst hergestellten kleinen Spiegels zu verschönern.