Kirchheim

Gedenken an Z 7940 - einen von vielen

Volkstrauertag Kirchheim gedenkt auf dem Alten Friedhof der Toten des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Manche Opfer bleiben namenlos. Von Peter Dietrich

Für alle Kriegsopfer gab es am Sonntag auf dem Alten Friedhof in Kirchheim eine Gedenkfeier.Foto: Peter Dietrich
Für alle Kriegsopfer gab es am Sonntag auf dem Alten Friedhof in Kirchheim eine Gedenkfeier. Foto: Peter Dietrich

65 Millionen Menschen haben im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren, die meisten davon waren Zivilisten. Eines dieser Opfer ist Z 7940. Es wurde kurz nach der Ankunft der Mutter in Auschwitz geboren und erhielt nicht einmal einen Namen. Nur eine Zahlenkombination zeugt vom Leben dieses Menschen. Wie bei allen anderen Inhaftierten wurde dem Baby eine Nummer eintätowiert. Da der Arm zu wenig Platz bot, musste das Beinchen des Neugeborenen dafür herhalten. Wenige Tage nach der Geburt nahmen die Nazis den Eltern das Baby weg und ermordeten es kaltblütig. Heute, so Angelika Matt-Heidecker, hätte dieses Kind im Alter von 74 Jahren auf ein erfülltes Leben zurückblicken können. Auch die beiden älteren Geschwister fanden kurz nach ihrer Ankunft in Auschwitz den Tod. Die Eltern, Albert und Pauline Reinhardt aus Kirchheim, überlebten. Nach dem Krieg bekamen sie nicht einmal eine finanzielle Entschädigung für den Verlust ihrer Kinder. Dazu war die Haftzeit zu kurz, sie erreichten keinen vollen Monat.

Das Mahnmal für die zivilen Opfer des Nationalsozialismus auf dem Alten Friedhof, das gestern an die Kirchheimer Bürgerschaft übergeben wurde, erinnert an das Schicksal der Familie Reinhardt und viele andere. Etwa Stadtpfarrer Otto Mörike, den SA-Männer überfielen und misshandelten, und den 1938 ein Mob von 300 Kirchheimern in einer Menschenjagd durch die Stadt trieb. Das Mahnmal erzählt auch von Theodor Schönleber, der als mutiger junger Lehrer schon kurz nach der Machtergreifung ins KZ Heuberg gesperrt wurde. Bis 1945 verbrachte er, der seinen Überzeugungen treu blieb, fast zehn Jahre in Konzentrationslagern und Gefängnissen.

Andere Menschen wurden zwangssterilisiert, einem polnischen Zwangsarbeiter wurde die lebensrettende Operation im Kirchheimer Krankenhaus verweigert. Ein russischer Zwangsarbeiter wurde, weil er nicht richtig Deutsch verstand, mit dem Hammer erschlagen. Es kümmerte niemand. Es lohnt, das neue Mahnmal zu begehen und die Spruchbänder auf sich wirken zu lassen. Bei der Gedenkfeier wurden die Texte von Kirchheimer Bürgern verlesen. Für das von der Bildhauerin Monika Majer gestaltete Mahnmal hatten Bürger 11 000 Euro gespendet, der Verschönerungsverein gab 10 000 Euro. Die andere Hälfte der Kosten trägt die Stadt.

Opfer haben viele Gesichter, und die Oberbürgermeisterin erinnerte an viele von ihnen. 657 Kirchheimer fielen an Kriegsschauplätzen in ganz Europa, 456 Kirchheimer wurden vermisst. Aus der zwangsgeräumten Patenstadt Bulkes sind im KZ Backi Jarak in einem Jahr 654 Menschen elend verhungert, unter ihnen 172 Kinder. Die Wunden seien noch heute tief, sagt Angelika Matt-Heidecker. Doch heute würden beim Gedenken, um das sich auch die serbische Seite bemühe, die Hände zur Versöhnung gereicht. Leider hätten die Menschen aus dem Ersten Weltkrieg nichts gelernt gehabt. Die Auswirkungen der Kriege Europas seien im Nahen Osten noch heute sichtbar. Die Kolonialmächte hätten die arabische Welt nach ihren Bedürfnissen geordnet, ohne die ethnischen und konfessionellen Hintergründe der Bevölkerung zu beachten.

Angelika Matt-Heidecker schlug den Bogen zur Gegenwart, gedachte der Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräften, die im Auslandeinsatz ihr Leben verloren. Der Frieden sei zerbrechlich. „Wir müssen widersprechen, wenn Menschen im Kollektiv verurteilt werden. Wir müssen gegen den Hass auf Andersdenkende aufstehen. Nur, wenn wir als Bürgerschaft gemeinsam aktiv sind, verhindern wir einen Rückfall in die Barbarei.“

Musikalisch wurde die Feier von der Stadtkapelle, dem Gesangsverein Kirchheim und den Happy Voices gestaltet. Schüler des Ludwig-Uhland-Gymnasiums trugen Friedenstexte vor. Weitere Gedenkfeiern zum Volkstrauertag gab es parallel auf dem Friedhof in Lindorf, auf dem Friedhof in Ötlingen und auf dem Friedhof in Jesingen. Die Gedenkfeier in Nabern folgt am Totensonntag, 26. November, um 10.30 Uhr auf dem Friedhof.

„Atomwaffen sind Waffen des Teufels“

In ihrer Gedenkrede zitierte Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker die Hibakusha, die Überlebenden der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki: „Atomwaffen sind Waffen des Teufels.“ Gemeinsam mit mehr als 3000 Amtskollegen weltweit, den „Mayors for Peace“, forderte sie erneut die vollständige Abschaffung aller Atomwaffen. „Ich habe Angst im Wissen darum, dass auch in unserem Land Atomwaffen lagern. Mir wird angst im Wissen um die Bestrebungen, neue Atomwaffen zu entwickeln“, sagte sie. Die Zerstörungskraft der vorhandenen Atomwaffen betrage mehr als das Zehntausendfache der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki zusammen. Sie könnten die menschliche Gattung auslöschen.