Kirchheim
„Gespaltener als je zuvor“

US-Wahl Auf Einladung des CDU-Kreisverbands spricht Norbert Röttgen über die Lage in den USA. Joe Biden ist demnach als Brückenbauer gefragt. Von Andreas Volz

Was bedeutet die US-Wahl für Deutschland? Sehr viel mehr, als dass man diesseits des Atlantiks starr und gebannt nach Washington schauen müsste, ähnlich wie das Kaninchen auf die Schlange. „Diese Wahl hat nicht nur Folgen für uns, die wir passiv hinnehmen müssen. Die Wahl verlangt vielmehr von uns, dass wir auch selbst etwas machen sollten.“ Das sagte Norbert Röttgen - Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und einer der Kandidaten um den Bundesvorsitz der CDU - in einer Videokonferenz. Eingeladen zur Diskussion hatten die CDU-Kreisverbände Esslingen und Böblingen.

Röttgen sprach von einem „dramatischen Ereignis“. Eine „Jahrhundertmobilisierung der Wähler“ habe zu einer enorm gestiegenen Wahlbeteiligung geführt - nicht nur bei den demokratischen Wählern Bidens, sondern auch bei den republikanischen Wählern Trumps. „Trump ist deshalb von deutlich mehr Amerikanern gewählt worden als bei seinem Wahlsieg 2016. Wer hätte das gedacht?“

Somit lautet das unerwünschte Ergebnis der Wahl: „Das Land ist gespaltener als je zuvor.“ Für Norbert Röttgen zeigt sich das auch an der hohen Zahl von „Single-issue-Wählern“ - von Wählern also, für die es nur ein einziges Thema gibt. Und nur wegen dieses einen Themas gehen sie zur Wahl. Für das Trump-Lager griff Norbert Röttgen drei solcher Themen heraus: „Da gibt es Millionen von Evangelikalen, für die das Verbot von Abtreibungen über allem anderen steht. Dann sind da die eher staatsfernen Wähler, die kollektive Versicherungen für Sozialismus halten. Und schließlich gibt es noch diejenigen, die das Recht auf Waffentragen über alles andere stellen.“ Für sie alle will Biden nun der richtige Präsident sein.

Das Land versöhnen

Oberste Priorität für den gewählten 46. US-Präsidenten werde es folglich sein, das Land zu versöhnen und Brücken zu bauen. Norbert Röttgen sieht dabei aber eine große Schwierigkeit: „Kompromisse sind kaum mehr möglich, weil man mehr über Identitäten spricht als über Themen. Problemorientierte Politik ist nicht gefragt, wenn die Mitte immer stärker ausgezehrt wird.“ Das alles ist aber abhängig von der Mehrheitsfrage im Senat, die sich erst im Januar beantworten lässt: „Ohne Mehrheit im Senat dürfte Joe Biden eher versuchen, außenpolitische Akzente zu setzen.“

In der Außenpolitik allerdings stehe China für die USA ganz vorne auf der Agenda: „China ist die umfassende Herausforderung für die USA - machtpolitisch, ökonomisch und technologisch“. China und der indo-pazifische Raum dürften die Zuwendung der USA erhalten, „in der Wahrnehmung allerdings, dass China eine Bedrohung ist, weil China jede Lücke füllt, die die USA zurücklassen.“

Erst danach folgen auf Bidens Liste Europa und Deutschland. Zunächst einmal ist Röttgen zuversichtlich: „Wir werden wieder vernünftig miteinander umgehen und uns wechselseitig als Partner ansehen.“ Allerdings zögen sich die Amerikaner aus vielen Regionen zurück. Auch unter Biden würden sie erwarten, dass sich Europa stärker um die Probleme vor der eigenen Haustür kümmert - sei es im Grenzgebiet zwischen der EU und Russland, sei es in Nordafrika oder im Nahen Osten.

Genau darin sieht der CDU-Politiker auch große Chancen: „Wir können die transatlantische Partnerschaft europäischer prägen.“ Möglichkeiten, um zu punkten, lägen vor allem in der Klima-Außenpolitik: „Da können wir unsere Kompetenz in die Partnerschaft einfließen lassen.“ Für viele junge Leute in Deutschland sei der Klimawandel bereits das „Single-issue-Thema“. Für Norbert Röttgen gehört das Thema ebenfalls „zu den großen Menschheitsfragen, wie auch die Migration und die Digitalisierung“. Gerade beim Klima solle Europa nicht auf die USA warten, sondern gleich eigene Akzente setzen.

„Bidens Berater schätzen uns“

Den Rückzug der US-Truppen aus Deutschland hält Röttgen für ausgestanden: „Das war eine Botschaft an Trumps Wähler, dass wir als untreue Verbündete bestraft werden sollen. Aber wir kennen Bidens außenpolitische Beratergruppe gut. Das sind vernünftige Leute, die Deutschland als Partner schätzen.“ Jedoch bestünden auch Bidens Demokraten darauf, dass sich Deutschland stärker einbringt, wenn es um die eigene Verteidigungsfähigkeit geht.

Auf die Frage, ob auch Verschlechterungen unter Biden denkbar wären, antwortet Norbert Röttgen erstaunlich offen: „Ich bin nicht euphorisch und auch nicht naiv. Aber mir fällt wirklich nichts ein, was unter Donald Trump besser geworden wäre. Ich erwarte deshalb eine Normalisierung - nach vier Jahren Anormalität.“ Daran werde auch der Supreme Court, den Trump jetzt noch anrufen will, nichts ändern. An dessen richterlicher Unabhängigkeit bestehe keinerlei Zweifel.