Kirchheim

Grüne Welle im Asphalt-Dschungel

Pendlerverkehr Land, Kreis und Kommunen machen ernst mit ihren Plänen für einen Radschnellweg entlang der B 10 durchs Neckartal. Von Bernd Köble

Staufrei und klimaschonend ans Ziel: Radschnellwege sind für Verkehrsexperten wichtiger Baustein für die Zukunft.Fotos: Jean-Luc
Staufrei und klimaschonend ans Ziel: Radschnellwege sind für Verkehrsexperten wichtiger Baustein für die Zukunft.Fotos: Jean-Luc Jacques

In den Niederlanden heißen sie Fietssnelwege, in Dänemark Cykelsuperstier. Beide Staaten gelten als Musterländer in Sachen Radverkehr und als Paradies für Berufspendler im Sattel. Schnell, breit, direkt - der Highway für Radler, darum geht es. Im Autoland Deutschland sind bisher erst vier sogenannte Radschnellwege im Bau, keiner davon in Baden-Württemberg. Das soll sich jetzt ändern.

Acht Tage nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten und vier Tage nach dem bereits fünften Feinstaubalarm in Stuttgart im neuen Jahr trafen sich gestern im Esslinger Landratsamt Vertreter von Land, Kreis und Kommunen, darunter auch der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann. Der Anlass: Die Unterzeichnung einer gemeinsamen Willenserklärung zu Planung und Bau eines Radschnellweges durchs Neckartal. Über 18 Kilometer von Reichenbach über Plochingen entlang der B 10 bis in die Landeshauptstadt.

Vor drei Jahren war es nur ein kühner Gedanke, eingebettet ins Radverkehrskonzept des Landkreises Esslingen. Jetzt machen die Partner zum ersten Mal ernst: Spätestens Ende des Jahres soll das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie vorliegen. Dann soll klar sein, welche Streckenführung möglich ist, was das Ganze kostet und wann gebaut werden könnte. Die Rede ist von einem Zeitfenster von fünf bis sieben Jahren.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann, der gestern direkt von der Landtags-Debatte über Luftreinhaltung nach Esslingen kam, spricht von einem anspruchsvollen Projekt. Das erscheint untertrieben angesichts der Lage im dicht bebauten Neckartal, wo eine Vielzahl unterschiedlichster Interessen aufeinanderprallen. Was die Sache für Kreis und Kommunen interessant macht: Der Radschnellweg durchs Neckartal ist eines von drei Leuchtturmprojekten im Südwesten mit denen das Ministerium erste Erfahrungen sammeln und den Radverkehr in ein neues Zeitalter katapultieren will. Das Land übernimmt deshalb die Baulastträgerschaft und damit auch die Planungskosten. „Mit dem Land als Lokomotive“, glaubt Landrat Heinz Eininger, „steigen die Chancen, dass wir das zeitnah realisieren können.“ Die anderen beiden Trassen, die geplant sind, betreffen die Strecken von Heilbronn über Neckar­s­ulm nach Bad Wimpfen und von Heidelberg nach Mannheim.

Die Route entlang des Neckars hält Hermann trotz enormer Hürden für die sinnvollste: Durch die hohe Verkehrsdichte sei der Entlastungseffekt hier besonders groß. Der Verkehrskollaps gehört im Landkreis mit seinen 530 000 Einwohnern zum Alltag. Außerdem: „Es gibt hier keine Berge“, stellt Hermann fest.

Dafür jede Menge anderer Hindernisse. Vom Hochwasserschutz bis zu einer Flut unterschiedlichster Anliegerinteressen. Landrat und Minister appellierten deshalb gemeinsam an die Bürgermeister der beteiligten Städte und Gemeinden, an einem Strang zu ziehen. „Wir müssen das Gesamtziel im Auge behalten,“ sagt Eininger. „Aber wir brauchen auch Etappenziele, um zu zeigen, dass es geht.“

Ein mögliches erstes Etappenziel könnte der Abschnitt zwischen Altbach und Esslingen sein, entlang des bestehenden Neckartal-Radwegs. Für das Gesamtprojekt sind drei alternative Routen in der Diskussion, von denen zwei rechts des Neckars in Richtung Landeshauptstadt verlaufen.

Dass es ohne Kompromisse kaum gehen wird, ist allen Beteiligten klar. Wenn es gelinge, auf 80 Prozent der Strecke die Standards eines Radschnellweges einzuhalten, sei das ein Erfolg, meint Paul Fremer vom Frankfurter Planungsbüro „Radverkehr-Konzept“. Winfried Hermann gibt dabei ganz den Realo: „Kompromisse eingehen und schnell beginnen“, so sein Motto. Der Rest ergebe sich von selbst, denn: „Fünf Kilometer Radschnellweg machen süchtig.“

Eine Autobahn für Radler

Was zeichnet einen Radschnellweg aus? Dafür gibt es zwar keine juristische Definition aber einige einheitliche Qualitätsstandards. Sie sollen Radfahrern durch möglichst wenig Stopps ein gleichmäßig hohes Durchschnittstempo von mindestens 20 Stundenkilometern und gefahrlos Tempo 30 ermöglichen.

Dafür sind vier Meter breite Trassen mit hochwertigem Belag vorgesehen, die ausschließlich Radlern vorbehalten bleiben. Möglichst wenig Straßenquerungen und entsprechende Vorfahrtsregelungen sollen den Zeitverlust pro Kilometer unter 15 Sekunden halten. Dazu gehört auch, dass Umwege vermieden werden und die Fahrradroute der direkten Linie zum Ziel folgt.

Billig sind solche Radschnellwege nicht: Eine Million Euro pro Kilometer, je nach baulichen Voraussetzungen, gelten als Richtmaß. In Baden-Württemberg sollen bis zum Jahr 2025 zehn solcher neuer Schnelltrassen entstehen.bk