Lokale Kultur

Isolde Kurz – eine ungewöhnliche Frau

Kommentierte Lesung im Max-Eyth-Haus im Rahmen der Frauenkulturtage

Kirchheim. Im Rahmen der Frauenkulturtage fand im Max-Eyth-Haus eine kommentierte Lesung von Renate Treuherz, Sprecherin des Literaturbeirates, statt. Sie präsentierte Texte von Isolde Kurz, die eine Zeit ihrer Kindheit in Kirchheim verbracht hat.

Die Referentin stellte gleich klar: Das Frauenthema war nicht maßgebend für die Textauswahl, sonst müsste man nach dem Roman „Vanadis“ greifen. Der Roman über den „Schicksalsweg einer Frau“ war der größte publizistische Erfolg der Autorin. Im Mittelpunkt soll stattdessen „Isolde Kurz und Florenz“ stehen, denn „Florenz wurde zum Geburtsort der Schriftstellerin Isolde Kurz“.

Zuerst durften sich die zahlreichen Besucher ein Bild machen von der „eleganten, stilsicheren, unkonventionellen“ Erscheinung der 40-jährigen Autorin. Bevor das Werk zur Sprache kam, zeichnete Renate Treuherz anschaulich den biografischen Hintergrund einer ungewöhnlichen Frau. Isolde Kurz wurde 1853 geboren und starb kurz vor ihrem 90. Geburtstag in Tübingen. Sie ist die Tochter von Hermann Kurz, in Kirchheim wohl bekannt. Wie es der Zeit entsprach, durchliefen die Brüder die Lateinschule, das Gymnasium und das Universitätsstudium. Isolde besuchte nicht einmal eine öffentliche Schule, sondern bekam Unterricht von ihrer Mutter, einer Adligen mit republikanischer Gesinnung. Die Mutterbindung blieb, doch den Wunsch der Mutter, sie solle heiraten, erfüllte die Tochter nicht. An Gelegenheit hat es der attraktiven Frau nicht gefehlt, doch sie wollte nicht in eine „Versorgungsehe unterkriechen“.

Anstoß erregte sie auch dadurch, dass sie als Frau öffentlich ausritt und für Frauen Schwimmmöglichkeiten forderte. „Die Welt war für sie eine Welt der Einschränkungen und Ausgrenzungen, worunter sie litt“, fasste Renate Treuherz zusammen.

1873 starb der von ihr vergötterte Vater. Isolde versuchte, den Zwängen zu entgehen und siedelte nach München zu ihrem Bruder Erwin über. Sie hielt sich mit Sprachunterricht und Übersetzungen über Wasser. 1877 zog sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Balde nach Florenz, wo ihr Bruder Edgar eine Arztpraxis eröffnete.

Bruder Edgar war der Referentin einen Exkurs Wert: Nach dem Medizinstudium war eine Habilitation aus finanziellen Gründen unmöglich. Ei­ne Niederlassung vor Ort scheiterte an seiner sozialistischen Gesinnung und seinem unpassenden Outfit. „Die Haare sind zu lang und der Rock zu kurz“, befand ein Schultheiß. So reifte der Entschluss auszuwandern. In Florenz behandelte der Gynäkologe und Chirurg nicht nur vermögende Patienten, sondern auch die Armen, bei denen er sehr beliebt war.

Bei der ersten Textprobe wurde deutlich, welche Anziehungskraft Italien mit seiner Kultur und seiner Landschaft auf die Familie Kurz wie auch schon auf Generationen früherer Italienpilger ausgeübt hat. Renate Treuherz las aus den „Florentinischen Erinnerungen“ das Kapitel „Die stille Königin“. Anschaulich vergegenwärtigt Isolde Kurz das pralle Leben in Florenz und seine tiefe Verwurzelung in der Geschichte. Bei allem Getriebe hat man noch Zeit und Muße.

In einem weiteren autobiografischen Text, der „Pilgerfahrt nach dem Unendlichen“, wird deutlich, dass Isolde Kurz seit dem Erfolg der „Florentiner Novellen (1890) in der Künstlerkolonie eine anerkannte Größe war. Sie genießt die Landschaft und ihre Freiheit. Sie schwärmt von Rimini und seinem Strand, einer „Insel der Seligen“, an dem sie jauchzend entlangreitet – welch‘ ein Unterschied zum „Teutonengrill“ der heutigen Zeit.

Edgar starb 1904 mit 51 Jahren. Das stürzte die Familie in eine Krise. Es begannen sieben „Notjahre“ mit einem Hin und Her zwischen München und Italien.

Nach den Sachtexten kamen fiktionale Texte zu Gehör, deren Stoff Isolde Kurz aus dem Fundus der Florentiner Geschichte schöpfte. „Anno Pestis“ handelt von der Rache einer betrogenen Frau. Sie begegnet ihrem früheren Geliebten, der sich für eine vorteilhaftere Partie entschieden hat, zufällig in einer Kirche. In Florenz wütet die Pest. Sie verheimlicht dem unverbesserlichen Verführer ihre Erkrankung, steckt ihn aus Rache an und teilt dies auch noch dem Sterbenden mit. Solch‘ ein Verhalten einer Frau war für die zeitgenössische Kritik empörend.

Aus der Sammlung „Italienische Erzählungen“ wurde „Unsere Carlotta“ vorgestellt. Über die Poliambulanz ihres Bruders kannte Isolde die Probleme kleiner Leute. Carlotta gehört zu ihnen, ist aber „ein großer Menschentyp“. Sie verliert ihren Verlobten kurz vor der Hochzeit durch Malaria. Das wirft sie aus der Bahn. Sie nimmt keine Werbung mehr an, ist hin- und hergerissen zwischen einem bindungsscheuen Verführer und einem abstoßenden Witwer, der sie heiraten würde. Als sich der Witwer anders orientiert, leugnet, Vater ihres Kindes zu sein und sie verleumdet, ersticht sie ihn. Erstaunlicherweise wird sie freigesprochen. Doch ihr Leben ist verwirkt. Sie wird von der Welt gemieden und stirbt bald.

Nach dieser etwas moritatenhaften Erzählung stellte Renate Treuherz die Frage, ob Isolde Kurz heute noch lesenswert ist. Ehrlicherweise beantwortet sie die Frage weder mit Ja noch mit Nein. Isolde Kurz hat sich auf keine literarische Strömung eingelassen, wollte ganz sie selbst und überzeitlich sein. „Manche Geschichten wirken schwülstig, manche wunderbar leicht“. Man muss auswählen. Fündig wird man auf jeden Fall im „Aktiengarten“, einem schönen Bändchen mit Geschichten aus der Gegend. Dass Isolde Kurz literarisch nicht begraben ist, zeigt sich auch darin, dass im Juli ein Sammelband in der Reihe „Eine kleine Landesbibliothek“ erscheinen wird.

Das Publikum dankte Renate Treuherz für die sachkundige Auswahl, ihre hilfreichen Erläuterungen und ihren lebendigen, ausgefeilten Vortrag. Unterstützt wurde sie bei der Präsentation der Texte von der Literaturbeiratskollegin Ingrid Stojan.