Kirchheim
Klimawandel wird verdrängt

Umweltschutz Die Coronakrise schiebt den Klimawandel in den Hintergrund. Warum er da nicht hingehört, und warum dieses Thema ständig um Aufmerksamkeit kämpfen muss, weiß Wettermann Sven Plöger. Von Antje Dörr

Dieser Mann verliert so schnell nicht seine gute Laune. Auch nicht dann, wenn eine gute halbe Stunde nach Beginn seine gesamte Technik abschmiert und rund 100 Zuhörer lange darauf warten müssen, dass Sven Plöger weitermachen kann mit seinem Vortrag über Klimawandel. Matthias Gastel, Bundestagsabgeordneter der Grünen, und Sylvia Kotting-Uhl, ebenfalls grünes Mitglied des Bundestags, haben den ARD-Wettermann und Meteorologen zu einem Video-Vortrag eingeladen über dieses Ur-Thema der Grünen, das seit dem Hitzesommer von 2019 in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert wird.

Oder besser: wurde. „Der Klimawandel fällt unheimlich schnell zurück, wenn andere Themen aufkommen“, sagt Sven Plöger, der sich nicht nur mit dem Wetter, sondern auch mit dem Klima auskennt (siehe Infokasten). Aktuell blicke die Öffentlichkeit auf die Vorgänge in den USA und auf die Coronakrise. Dabei sei der Klimawandel viel bedrohlicher als die Coronakrise, sagt Plöger und malt seinen Zuhörern ein eindrückliches Bild. Er bittet sie, sich vorzustellen, sie stünden am Strand, und eine 15 Meter hohe Tsunami-Welle baue sich vor ihnen auf. „Und während Sie auf diesen 15 Meter hohen Wasserberg starren, sehen Sie gar nicht, dass sich dahinter eine 500 Meter hohe Welle aufbaut.“ Das sei der Klimawandel. „Er wird irgendwann alles zunichtemachen, wenn wir nicht handeln. Wir müssen dieses Thema nach vorne bringen“, sagt Sven Plöger.

Doch wie? Mit Menschen über Klimawandel sprechen sei von entscheidender Bedeutung, so Plöger. „Viele können sich nicht vorstellen, was es bedeuten würde, wenn wir eine Erwärmung um vier Grad bekommen.“ Um zu veranschaulichen, dass eine vier Grad kältere Welt eine komplett andere ist, zeigt Plöger gerne das Bild eines gletscherbedeckten Gebirges, aus dem nur noch die Gipfel herausschauen. „So sahen die Alpentäler vor 11 000 Jahren aus“, sagt Plöger. Die Moral der Geschichte: „Auch eine vier Grad wärmere Welt wäre eine ganz andere als die heutige.“

Während der Klimawandel von immer weniger Menschen bezweifelt wird, hinkt das Handeln der Erkenntnis meilenweit hinterher. Das, so Plöger, liege unter anderem daran, dass der Klimawandel für die Menschen keine konkrete Bedrohung sei. „Das ist wie bei einem Asteroideneinschlag in Superzeitlupe. Irgendwann passiert irgendjemandem irgendetwas. Deshalb reagieren wir entsprechend langsam - oder gar nicht.“ Menschen fingen erst dann an, zu handeln, wenn etwas greifbar werde. So wie der heiße Sommer von 2019. „Wir haben jetzt praktisch eine dreijährige Dürre. Diese Fühlbarkeit, die bringt das Thema nach vorne“, so Plöger.

Mehr Reisen und Müll denn je

Doch offenbar klaffen Denken und Handeln selbst dann noch auseinander, wenn man den Klimawandel am eigenen Leib spüren kann. Denn: „Es hat auch noch nie so viele Flug- und Kreuzfahrtreisen, so viel Plastikmüll und so viele SUV-Zulassungen gegeben wie im Jahr 2019.“

Diesen Widerspruch sieht Plöger nicht nur bei jedem Einzelnen, sondern auch bei der Politik. „Warum sind die Subventionen so gestaltet, dass das gefördert wird, was unerwünscht ist?“, fragt er mit Blick auf die Massentierhaltung. „Und warum kostet es mehr, wenn ich mit dem Taxi zum Flughafen fahre, als wenn ich anschließend nach Hamburg fliege?“ Auf die Klimakonferenzen setzt der Meteorologe und Buchautor wenig Hoffnung. Der Fehler liege im System. „190 Länder sollen sich einig sein, sonst gibt es kein Abschlusskommuniqué. Das heißt, der Bremser bestimmt.“ Ein grundsätzliches Problem sieht Sven Plöger in der Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung. „Wir jagen im Kapitalismus dem Geld nach, haben aber keine vernünftigen Rahmenbedingungen.“ Es werde ständig übersehen, worauf der Wohlstand aufgebaut sei, nämlich auf der Ausbeutung von Natur und Menschen. „Wir müssen Korrekturen vornehmen. Wenn wir Klimaveränderungen zwar sehen, aber ignorieren, wird genau das unseren Wohlstand komplett vernichten.“

Warum sind Menschen in der Coronakrise viel eher bereit, Einschränkungen ihrer Freiheit zu akzeptieren, als beim Klimawandel? Das will Sylvia Kotting-Uhl von Sven Plöger wissen. Der begründet das einerseits mit der schon erwähnten fehlenden Haptik, aber auch mit einem Denkfehler, dem fast jeder schon einmal aufgesessen ist: Dass nämlich der Anteil eines jeden so klein sei, dass man deswegen nicht sein schönes Leben aufgeben wolle. Oder anders gesagt: „Ich allein werde das Klima bestimmt nicht retten“. Deshalb glaubt Sven Plöger, dass die Politik im Kampf gegen den Klimawandel nicht auf freiwilliges Handeln setzen darf. „Wir brauchen Regeln.“